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A. von Winterfeld.
„O, so schlimm stand es ja doch nicht, gnädiger Herr," entgegnete die Alte; „seit gestern hatte uns der Doctor wieder Muth gemacht ... die .letzte Nacht war ja ruhig . . . freilich, Ae schlimme Zeit haben wir hinter uns. . . davon kann man ein Liedchen singen . . . namentlich ich ..."
„Weshalb gerade Sie!" fragte der Herr.
„Weil ich jede Nacht an ihrem Bett gesessen..."
„Sie? ... und weshalb nicht meine Frau?" —
Die Alte that, als ob sie ins Erzählen käme, .sie schlug mit den Händen und strich an ihrer .Schürze herum.
„Die Gnädige wollte es ja gern thun . . . und that es auch ein- oder zweimal," plauderte sie. . . „dann hat es ihr aber der Herr Doctor verboten, weil es Sie so sehr aufregte..."
„So, so?" unterbrach.Schellenberg, „und weshalb regte es mich denn aus?"
„Ja, das weiß ich eigentlich nicht genau zu sagen, gnädiger Herr . . . aber Sie sprachen so viel im Schlaf . . . »meine Frau!« sagten Sie immer... »ich flöße ihr Entsetzen ein . . . sie haßt mich . . . fort! fort von hier!«"
Der Kranke sah sie an, als wenn er ihr in's Herz blicken wollte.
„Ah!" weinte er dann... „das sagte ich also?"
„Ach Gott! wohl hundertmal!" betheucrte die Holmberg.
„Und was noch?"
„Nun . . . noch eine Menge dummes Zeug, wie es ja immer beim Delirium ist..."
Die Ulte wollte fort; aber Schellenberg hielt sie durch seinen Blick zurück . . er sog sich förmlich an ihr fest mit seinen Fragen.
„Entsinnen Sie sich keiner Worte mehr, Frau Holmberg?"
„I, ja! . . . wer kann aber alles behalten?... Dornblatt komm! . . . wir müssen reisen. . ."
„Hm, hm! . . . wissen Sie nicht noch etwas?"
Die Alte lachte und schüttelte den Kops, als wenn sie sich noch immer darüber wunderte. . . „Es war zu närrisches Zeug!" sagte sie . . . „einmal meinten Sie sogar, Sie hätten Jemand umgebracht . . . und wären durch Herrn v. Dornblatt gerettet worden. . . und was des Unsinns mehr war."
Anstatt durch die Mittheilung erschreckt zu werden, hatte sie dem Kranken augenscheinlich Freude gemacht.
„Ah! . . das thnt mir so wohl!" rief er aus... „es ist doch interessant, zu erfahren, was man geträumt hat. . . denn ... so mitten aus den Fieberphantasien heraus, orientirt man sich nicht so leicht. . . ich danke Ihnen, Frau Holmberg . . . ich danke Ihnen von ganzem Herzen."
Er reichte ihr die Hand, die von der Alten
geküßt ward . . . dann ging sie gutmüthig lächelnd hinaus; als sie aber ans dem Flur war, trocknete sie den kalten Angstschweiß von der Stirn, und als sie zur gnädigen Frau kam, ihr Bericht zu erstatten, konnte sie fast kein Wort Hervorbringen.
„Nun!" drängte diese mit heißer Ungeduld.
„Gut!" war die einzige Antwort . . . „gut. . . alles gut!"
Dann schloß sie die Augen, streckte die Füße und redete keine Silbe mehr.
Jetzt kam die Hauptsache für die arme Frau. Nachdem sie der Holmberg den Auftrag gegeben, Niemand hereinzulassen, betrat sie mit bangem Herzen Schellenberg's Gemach.
Als dieser sie eintreten sah, eilte er ihr sofort entgegen und nahm ihre Hand.
„Meine theure, geliebte Marie! wie glücklich bin ich, Dich wiederzusehen! ... ich habe Dich noch um Entschuldigung zu bitten..."
„Um Entschuldigung?" wiederholte befremdet die Frau.
Schellenberg führte sie zum Sopha uud ließ sie neben sich sitzen.
„Ich bin vorhin . . . seltsam . . . gegen Dich gewesen," begann er darauf. — „Das waren aber noch die Nachwirkungen des entsetzlichen Traumes, der mich während der ganzen Krankheit ans die Folter gespannt . . . ich bildete mir nämlich steif und fest ein, ich hätte bei Dornblatt..."
Er hielt inne ... er vermochte noch nicht das Wort über die Lippen zu bringen.
Die Frau half ihm schnell darüber hinweg... sie konnte es auch nicht hören.
„Ja, ja!" . . sagte sie . . . „ich weiß . . ich weiß!" . . .
„Das ist aber noch nicht alles," fuhr der Kranke fort. . . „ich glaubte auch, daß Du mich nicht mehr liebtest . . . daß ich ein Gegenstand des Abscheus für Dich geworden wäre . . . weil ich ... in meinem Fieber mir einbildete ..."
Die Frau unterbrach ihn abermals.
„Wie konntest Du so etwas auch nur im Traum denken? Wenn wirklich der Himmel ein solches Unglück über uns verhängt, wärst Du dann nicht am meisten zu beklagen gewesen von uns beiden?"
Der Mann bejahte.
„Nun siehst Du Wohl! . . . Wenn man sich also liebt, wie wir uns lieben, ist es dann nicht die Pflicht dessen, den minder schwere Last drückt, die Wunden des Andern mit mildern Trost zu heilen? Wie konntest Du also glauben, daß ich Dich hassen würde, wo mein Herz um so stärker zu Dir hindringen mußte?"
„Ja . . . allerdings," gab Schellenberg mit wieder beginnender Unruhe zurück . . . „aber, weshalb sagst Du mir das?"