Heft 
(1.1.2019) 12
Seite
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«Kustav.

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Weil weil ich Dich überzeugen wollte, daß, wenn der entsetzliche Traum selbst Wahrheit gewesen, meine Liebe zu Dir nur zugenommen haben könnte ..."

Der Kranke ließ ihre Hand los. . .

Ich verstehe," sagte er mißtrauisch ...aber... wo ist er denn? ..."

Wer? . . Gustav? ..."

Ja! . . wo ist er? . . . ich will ihn sehen. . . ich will mit ihm allein sein . . . ganz allein ..."

Die Fron zögerte noch, den Knaben zu rufen.

Fürchtest Du nicht-?" begann sie zitternd.

Was denn?-was sollte ich fürchten?"

Du bist noch leidend ... er ist so lebhaft. . . so unruhig ..."

Thut nichts!" rief Schellenberg unter dem Einfluß nervöser Ungeduld ...ich will ihn sehen ... unter allen Umständen ..."

Dann stand er ans und zog die Gattin mit sich empor. Jetzt mußte diese gehorchen, wenn sie nicht alles aufs Spiel setzen wollte . . . zitternd öffnete sie die Thür des Nebenzimmers; dann ath- mete sie erleichtert auf... es war ihr eine Frist gewährt worden . . . allerdings nur eine Galgen­frist . . . das Kind war bei seinem Spiele einge­schlafen ... es konnte jetzt nicht Rede und Ant­wort stehen . . .

Er schläft," flüsterte Marie zu ihrem Manne empor. . .wecke ihn nicht auf..."

Der Kranke sah den Knaben lange aufmerksam an; dann zog er die Gattin sanft an sich und hauchte einen Knß auf ihre Stirn.

Du wirst ihn mir schicken, wenn er erwacht ist . . . nicht wahr?"

Sie nickte und trat dann leise zu dem Kinde ein.

Schellenberg hätte beinahe laut aNfgejnbelt vor Freude:also doch wahr! . . . nichts wie ein böser Traum," er hatte das Kind ja zu deutlich gesehen... in diesem Moment, jetzt konnte er glauben . . . jetzt hatte er keine Ursach' mehr zum gift'gen Zweifel ... Er öffnete das Fenster und zog sich die kranke Brust voll frischer Morgenluft; dann setzte er sich an den Tisch und fand seine Lieb­lingsbücher ... in der Zeitung den begonnenen Feuilleton-Roman ... er versuchte wieder zu lesen, aber es ward ihm schwer ... es machte ihn müd... er stützte den Kopf in die Hand und ruhte sich wieder ... Da hörte er draußen eine Stimme rufen . . .Frau Holmberg!" . . . und gleich nach­her ein leises Geräusch auf dem Fensterbrett.

Schellenberg sah sich um. . . ach! die neuen Zeitungen! ... Da der Briefträger das Fenster offen sah, wird er sie aus Bequemlichkeit hinein­geschoben haben.

Er nahm das Blatt, faltete es auseinander und las darin. Nach einer Weile hörte er wieder auf . . .der 3. September 1884?" ... Das mußte ein Jrrthum sein... er legte die Zeitung wieder fort und prüfte andere, die auf dem Tisch lagen... das war doch aber seltsam! . . . was sollte er davon denken? . . . Dje Unruhe faßte ihn wieder, aber er versuchte sie gewaltsam zu unter­drücken ... er recapitulirte. . . Gustav ist 1876 geboren . . . also nach dem Datum dieser Zeitungen vor acht Jahren . . . und das Kind, das er eben so deutlich vor sich gesehen . . . das war doch un­faßbar! ... und dennoch mußte es sein! ... Er drückte sich die Stirn . . . sollten die alten Fieber­phantasien wiederkehren? . . . doch nein! . . . diese Daten können keine Trugbilder sein. . . dahinter muß sich ein Geheimniß verstecken, das der wirre Geist nicht zu durchdriugen vermag . . . Das Blut drang ihm siedend heiß zu Kopf ... er konnte die innere Angst nicht länger ertragen . . .

Marie! . . Marie!" entwand es sich der ge­quälten Brust.

Mit der Gerufenen trat auch der Arzt aus dem Nebenzimmer . . . Schellenberg konnte nicht sprechen ... die Aufregung übermannte ihn. . . er hielt ihnen die Zeitungen hin ... die Frau schrak zusammen, der Doctor blieb ruhig ... es entstand eine Pause.

Habt Ihr das Datum gesehen?" fragte der Kranke endlich.

Gewiß, lieber Freund."

Schellenberg wandte sich jetzt zu Marie.

Ich sagte Dir vorhin, daß ich einen bösen Traum gehabt," begann er ernst . . .aber es war kein Traum ... es war Wirklichkeit . . . man versuchte mich zu täuschen . . . denn ich entsinne mich sehr gut des Geschehenen ... ich entsinne mich nur zu gilt. Auf der Terrasse augekommeu, wo sich das Kind hinter einen Strauch versteckt, nahm ich ein Gewehr . . . wartete mit gesenktem Lauf, daß ein Vogel mir in den Schuß kommen sollte..."

Hier packte ihn Plötzlich wieder die Verzweif­lung, und er schrie in Tönen, daß sie den Hörern das Herz zerrissen.

Der Vogel kam . . . aber im Moment, wo ich losbrückte, trat Gustav hinter dem Strauch her­vor ... er empfing die volle Ladung und sank todt . . . todt . ... auf den Rasen nieder ... da! ... da! ... . ich sehe ihn noch vor meinen Augen ..."

Der Unglückliche war leichenblaß geworden und sank zum Tode matt auf einen Stuhl.

Und nun erklärt mir," fuhr er mit schwacher Stimme fort-. . .wer das Kind ist, das ich so­eben gesehen . . . dies war ein Traum . . . wie? .. . ich habe nur geglaubt, ihn wiederzusehen . . . ich habe es eben nur geglaubt?"7

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