558
vr. mecl. Hermann Alencke.
Surrogat, ein Surrogat der Sitte, wandelbar mit jedem Lufthauch, stets wechselnd in wilden Capricciosprüngen und hinter ihr her die gehorsame Menschheit. Die Mode ist einmal der Beweis der frei gestaltenden Schöpferkraft des Menschen, die unablässig neue Formen und Gestalten ersinnt für seine Umgebung, dann aber auch ebenso ein Beweis für den Mangel an selbstständigem Urtheil und Willenskraft, für den psychologischen Zwang, der aus ihm lastet, und mit einer Idee ihn gradeso widerstandslos gefangen nimmt, wie eine Seuche mit den Bacterien. Man kann getrost von einer Jdeen- ansteckung reden, man kann von einem Heerdenin- stinkt reden, einem Ueberbleibsel einer früheren Entwickelungsstufe des Menschen, einem Heerdeninstinkte, der die Heerde kopfüber hinter dem Leithammel her treibt, sei es auch in den Abgrund. Die Mode hypuotisirt die Menschen, beraubt sie ihrer selbstständigen Willenskraft, sodaß der seelische Mechanismus nur noch im Dienste einer fremden Willenskraft arbeitet. Man sehe nur einmal, wie auf der Straße ein Haufen Menschen starr und stumm steht vor einem Kätzchen, das blutend am Boden liegt, vor einem Kanarienvogel, der seinem Bauer entflogen auf einem Hausgiebel sitzt. Sprachlos starren sie das Ding an, immer größer wird der Haufe, bis endlich ein Witzwort die seelische Spannung löst oder der Schutzmann die Menge auseinandertreibt. Ist das etwas anderes, als der bekannte Hypnoti- sirungsversuch, daß ein Huhn, das mau einige Zeit mit dem Kopfe fest niedergedrückt hat und gezwungen einen Kreidestrich zu fixiren, auch nach Aufhörung des äußeren Zwanges regungslos verharrt in der seelischen Spannung, in die es länger dauernder einförmiger äußerer Eindruck versetzte!
Bei Kindern kann man dieses lautlose Au- starren eines seltsamen Eindrucks, sodaß sie ganz entrückt der andern Umgebung erscheinen, beobachten: „Sie sperren Mund und Nase auf." Sehr viele Erwachsene bleiben nun, abgesehen von der wachsenden Klugheit und Berufstüchtigkeit, doch als Menschen große Kinder, ihre selbstständige Urtheils- und Willenskraft bleibt schwach und wird leicht von einem starken Eindruck gänzlich gelähmt. Hier setzt denn dann die geistige Nachahmung, Ansteckung durch Ideen, die Mode ein. jSo lange die Menschen solch Heerdenthiere bleiben, werden sie wohl auch immer einen Leithammel brauchen, der selbstständige Ideen hat und durch Willenskraft über sie hervorragt, so lange wird unsere Verehrung immer noch mehr den Heroen und Genien, als dem „gleichen" Haufen gelten müssen.) Auf der Nachahmung beruht alle Erziehung des Kindes, die Nachahmung beherrscht die großen Kinder, die Erwachsenen.
Nur in diesem Sinne kann man auch der Redensart Recht geben „Kinder aus gutem Hause",
weil gewöhnlich die Kinder die Manieren und den Charakter der umgebenden Erwachsenen nachahmen, sehr oft allerdings auch den schlechter Dienstboten. Ich würde mehr vorziehen Kinder, die schon frühe eine Selbstständigkeit des Willens und Charakters und dabei Gemüthstiefe an den Tag gelegt haben. Denn solche Kinder sind selbst in der schlechtesten Umgebung unverwüstlich. In ihnen ist ein solcher Drang zur Selbsterziehung nach hohen edlen Mustern, daß jede geistige Ansteckung von ihrer gesunden Natur im stählenden Kampfe überwunden wird. Freilich sind sie Ausnahmen und die Erziehung im Ganzen und Großen hat einfach zu thun, als-spielte sich das Seelenleben nach unabänderlichen Gesetzen unabänderlich wie Naturgesetze ab, hat zu thun mit Menschen, die mehr Empfänglichkeit als Selbstständigkeit haben, mehr Egoismus und Bequemlichkeit, als das rastlose Streben nach Vervollkommnung und Lust, sich der Menschheit zu opfern.
Man kann im modernen Leben und durch die ganze Geschichte beobachten: auch die edelste, beste, vortrefflichste Einrichtung nnd Idee muß Mode werden, wenn sie wirken null. Nicht blos Crinoline und Hutfaqon, nicht blos ein Vergnügungs- und Badeort, ein Restaurant wird Mode, Mode muß auch ein Schriftsteller, Arzt, Prediger werden, ehe er wirksam werden kann, Mode muß die Freiheit werden, sonst lehnen sich die Bauern gegen die Freiheit auf, wie in Oesterreich zur Zeit Josefs II., in Rußland, Mode die Kartoffel, die Wohlthäteriu der Armen, sonst verhungern sie lieber, ehe sie die ungewohnte Frucht essen, wie in Frankreich. In der Kunst giebt es eine Mode, einmal Renaissance und vervehmt ist, wer auch am Roeoco etwas Gutes findet, daun plötzlich ist Rvcoeo wieder dran re., in der Wissenschaft giebt es Modetheorien, einmal Hegels Allvernünstigkeit, dann glaubt alle Welt Schopeuhaueru und Herrn von Hartmauu, daß diese ganze Geschichte von Schöpfung und Erde eine furchtbar unvernünftige Sache sei, in der Mediein erst recht: Ein Arzt hat einem Sänger die Nase ausgebrannt, der kann plötzlich wieder das hohe A singen, sofort läuft das ganze Säugerthum zu dem Specialisteu und läßt sich für schweres Geld die Nasen ausbrennen, man läßt sich Tvllwuth impfen, magnetisiren, Rückenmark dehnen, Bauch aufschueiden — denn es ist Mode. Wenn die Menschen für gute hohe Ideen dieselbe blinde Anhänglichkeit an den Tag gelegt hätten, als für Scharlatanerien, die ihrer persönlichen Eitelkeit schmeicheln (gewöhnlich halten sich solche Narren noch für . recht groß, daß sie so ihren Zeitgeist begriffen haben und für diesen Zeitgeist sich opfern, wie sich die Indier unter die Füße der heiligen Ochsen legen und sich von ihnen treten lassen), ich sage, wenn sie denselben Fanatismus