Die Erziehung einer neuen Generation.
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in selbstständiger Ueberzeugung für das Edle und Gute immer hätten, wie unendlich weiter würde heute die Menschheit sein!
Wenn hellte an allen schöngelegenen Orten plötzlich Schwenningeranstalten entstehen, so möchte man glauben in Deutschland schössen die Schmeerbäuche ans dem Boden und Deutschland sei ein Land von Falstaffen, aber nichts Neues unter der Sonne. In Rom waren bis 23 v. Ehr. nur warme Bäder Sitte, als nun aber der freigelassene Antonius Mnsa den Kaiser Augustus von einer gefährlichen Leberkrankheit durch Anwendung der Kaltwasserkur heilte, errichtete man Kaltwasserheilanstalten an allen Orten des römischen Reiches, das edle Bajae, unser Ostende vielleicht, oder Baden-Baden, das jeder edle Römer und fürtresf- liche Nömerdame zu besuchen für Gebot der feinen Sitte ansah, das edle Schwefelbad wurde schnöde verlassen, Aktien sanken 200 aber man war auch dankbarer als heute, man errichtete auch dem Arzte aus freiwilligen Beiträgen eine Statue — wo bleibt Ihr Dickbänche mit Eurer Dankbarkeit in Deutschland? Ja auch das Vielessen und sich Mästen war eine Mode wie heute das Magerwerden, seitdem Fürst Bismarck niit Schwenninger's Hülfe sich wieder mager und damit weniger reizbar und kampflustiger gemacht hat. Die englische Gesellschaft nahm es dem Lord Byron stark übel, daß er sie wegen ihres Vielessens verspottete und selbst bis zum Fasten wenig nahm. Denn damals hatte sich der Prinzregent gemästet und es galt für fein und fashionabel sich ebenso fett zu machen. Was werdet Ihr aber erst edle Ritter vom Pegasus, Ihr erhabenen Dichter mit Havelock, Zwicker und Schlapp- hnt, die Ihr mit Eurer Dichtung alle die Herzen von Anna, Snsanna, Johanna, Marie besiegt, was werdet Ihr sagen, wenn ich behaupte, auch das Dichten ist Mode! Unter dem römischen Kaiser Augustus und seinen Nachfolgern litt ganz Rom an der Dichtwnth und man konnte nicht sich in einen stillen Winkel retten, ohne daß ein Dichter einen verfolgte, um einem seine Verse vorzulesen, vor 100 Jahren in der Sturm- und Drangperiode war auch die ganze gebildete Jugend in poetischer Verzückung, in süßer dichterischer Schwermuth, ja sogar der poetische Selbstmord Werthers steckte an und wurde Mode.
Und Ihr, luftige Bergfexe, wie werdet Ihr mich schelten, wenn ich behaupte: Noch vor 100 Jahren galten die Alpen, wie jedes schwer wegsame Gebirgsland, für Einöde und Schrecken für jeden Wanderer und die Dichter besangen die Fruchtbarkeit der lieblichen Ebenen mit ihren Getreide- und Kleefeldern und bunten Wiesen. Seit Rousseau kam dann die Naturschwärmerei auf, man fand jene Alpenketten „romantisch" und heute fühlt sich jeder
halbwüchsige Junge unglücklich, wenn er nicht berg- fexen und craxeln kann.
Ja auch die Liebe ist Mode: Wenn der Referendar sein Assessvrexamen bestanden hat und das Lob seiner Vorgesetzten erhalten, fliegen ihm die zärtlichen Blicke der Damen zu und an seine Brust dichtgesät die Cotillonorden, sobald ihn aber eine Cabale trifft, er eines Vorgesetzten Neid erregt hat und Mißgunst, sofort dreht ihm die ganze Gesellschaft achselzuckend den Rücken, schön Susannchen höchstens noch mit einem verstohlenen zärtlichen Seitenblick, aber sie dreht. Wie lob ich Dich dagegen, herrlicher Mann, der Du unbekümmert ob sie Dich loben, schelten, lieben, verfolgen, Deinen Weg wandelst nicht nach der Geheimrathswürde, sondern nach dem Menschheitsideal, wie lob ich Dich, deß Wahlspruch ist das wahre „Excelsior", nicht eine höhere Stufe der Thierheit, sondern die hohe Stufe, die erst berechtigt sich zu nennen Homo onpikns. Erst Du adelst die Menschheit dadurch, daß Du das Ebenbild Gottes bist, wenn die Anderen ihre Würde verkaufen, um ihrer Thierheit zu dienen!
In Dir leben Tausend Seelen, von denen der Einzelne aus der Menge nur eine besitzt, darum ist es ihre Bestimmung Anlehnung an andere Theilseelen zu suchen, Dein Beruf aber ihnen mnthig voran zu gehen. Wenn diese Theilseelen sich begnügen „artige seine Leute" zu sein, sei Du mehr, sei Du eine edle starke Seele, die auch den Tod nicht fürchtet.
Es wäre nun aber thöricht, die Mode, die Nachahmung, die Ansteckung durch Ideen blos anzuklagen. In dem Culturhanshalt der Menschheit, wie sie heute ist, ist dieses Gesetz das erste Mittel, um Ideen zu verbreiten und die großen Massen zu bewegen. Jene großen starken Geister sind die Erreger von Elektricität, die Massen sind die Leiter des elektrischen Stromes. Es dauert lange, bis der Widerstand überwunden ist in dem Leiter, aber dann folgt auch ein dauernder Strom. Jene großen Seelen mit selbstständigen Ideen und hervorragender Willenskraft, die Könige, Propheten, Helden, Dichter sind in dem Cultnrhaushalt, was die Erregungsnerven des Herzens sind, die Massen sind die Hemmungsnerven, beide in Wechselwirkung bringen eine gleichförmige Bewegung hervor.
Aber die Aufgabe der Erziehung bleibt es doch, immer mehr Menschen vom Bewußtsein zum Selbstbewußtsein zu erziehen, von der-bloßen Nachahmung und Anschließen an Sitte und Mode zu selbstständigem Urtheil und selbstständigem Handeln. Denn weder hohe Geschicklichkeit im Berufe, Gelehrsamkeit, Scharfsinn machen die höchste Stufe der Menschheit ans. sondern nur das eigene Urtheil und selbstständige Willenskraft mit Herzensgüte verbunden geben dein