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(01/01/2019) 12
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Or. meä. Hermann Klencke.

auf Prügelstrafe, grausame Hinrichtung re. den Antrag zu stellen, ich stelle blos den Antrag, der sittlichen Cultur, der Pflege der Gesinnung mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, als immer blos der Verfeinerung des Verstandes. Und dies muß in der Kindheit geschehen, damit sich sichere sittliche Grundsätze mit den geheiligten Jdeeuassociationen der Kinder verbinden. Denn der Verstand kann wohl die Wolken des Vorurtheils durchdringen, in den Momenten seiner Kraft kann er Wohl sogar über seine Freiheit frohlocken, doch über Alles mächtig bleiben gewöhnlich die Begriffe der Kind­heit, um in jeder schwachen Stunde, wenn die Spannkraft der Vernunft erschlafft, mit der Gewalt der alten Jdeeuassociationen wieder zu erscheinen und zu regieren. Wie wenige sind später fähig die Mängel ihrer Erziehung selbst zu corrigiren! Deswegen spreche ich ja gerade so ausführlich von diesen psychologischen Vorgängen, weil diese geistige Nachahmung, in der Kindheit das Mittel der Er­ziehung, leider auch im Mannesalter herrschend bleibt, im Mannesalter, wo namentlich bei Gebil­deten die Selbsterziehnng die übermäßige Eindrucks­fähigkeit und unwillkürliche Nachahmung hemmen sollte, ich meine nicht hemmen bis zu der hals­starrigen Oppositionslnst, die Absonderlichkeit mit Originalität verwechselt, sondern zu dem reifen Ueberschauen und ruhiger Selbstbestimmung.

Wir kennen ja auch aus unserer Geschichte Bei­spiele von solcher geistigen Ansteckung von Geistes­epidemien. Ich erinnere nur daran, daß im 12. Jahrhundert, als ganz Europa von den Gesängen der Geißelbrüder ertönte, als die Hexenprocesse sich mit einer furchtbaren Geschwindigkeit vermehrten, als die Inquisitoren Europa durchschritten und laut erklärten, daß der Teufel an allen Seiten sein Wesen treibe, überall Verurteilungen wegen Zauberei zum Feuertode bewerkstelligten und das Volk von an­steckender Furcht ergriffen sich überredete, eine Ge­meinschaft mit dem Satan zu haben und Alles sata­nische Einflüsse um sich sah, damals entstand auch der Veitstanz in Flandern und Deutschland. Tau­sende und aber Tausende versammelten sich in Kir­chen und aus Plätzen unter sonderbaren Ausrufen und Geberden und verkündeten mit Schreckensge­kreisch und Verrenkungen und Zuckungen der Glieder die Macht und den Triumph des Satans. In den Kirchsprengeln Köln und Trier, wo nachgrade die Hexerei am Meisten vorkam, wüthete dieser an­steckende Wahnsinn und Krampf mit besonderer Hef­tigkeit. Vollständig ungewöhnt an ein unabhän­giges Denken, verwirrt durch die fanatischen Reden der Priester irrten die Geister der Menschen hin und her, durchzuckt durch streitende Gefühle unter dem Einflüsse des wildesten Schreckens. Keiner konnte der Bewegung entrinnen, die ganz Europa

mit Angst erfüllte. Es war eine Zeit religiöser Convulsion, religiösen Krampfes, der sich auch in Gliederkrämpfen kund gab und Alle ansteckte, die nicht ganz starken Geistes waren.

Wenn man aber jenes wunderbare Zeitalter der Kreuzzüge in's Auge saßt und sieht, wie selbst Schaaren von zarten Kindern ihrem Elternhause entlausen, um nach der Stadt, welche die Wiege und das Sinnbild des christlichen Strebens ist, nach Je­rusalem zu pilgern und unterwegs zu Tausenden vor Hunger und Frost auf unwirthlichen Wegen nmkamen, zum Theil noch ehe sie das Meer zur Ueberfahrt erreichten, möchte man da nicht glau­ben, es bemächtige sich zu Zeiten der Menschen der­selbe unaufhaltbare Drang und instinktive Zwang, der die Zugvögel im Herbst nach Süden treibt und die Insekten in die Flamme? oder es sei ein Rest von jenen zwangsartig wirkenden Gefüh­len in dem Menschen als Erbstück zurückgeblie­ben? In unserem Jahrhundert im 70er Krieg hat man nur von Einzelfällen gehört, daß halbwüchsige Burschen ihren Eltern entliefen, um mit gegen den Erbfeind zu marschiren; von einem Kinder-Fran- zosenzuge ist Nichts verlautet. Man muß bedenken, wie damals zur Zeit der Kreuzzüge die religiöse Aufregung alle Interessen verschlang, alle Klassen und Alles beherrschte, sich alle Leidenschaften unter­warf und ihnen die ausschließliche Färbung verlieh; man muß den religiösen Terrorismus bedenken, der damals ganz Europa beherrschte, wie der revolu­tionäre vorigen Jahrhunderts Frankreich, man muß wissen, daß die Höllengeister damals die Haupt­wahrheit der Religion waren und der Gegenstand beständigen Nachdenkens. Alle Literatur, alle Ma­lerei, alle Beredsamkeit concentrirte sich ans das schreckliche Thema, und durch die Predigten von jeder Kanzel wurde der sinnverwirrende Schrecken genährt. Man erzählte den armen unterdrückten verdummten Menschen wie ein Heiliger die Hölle durchwandert und in dem düstern Schimmer der ewigen Flam­men Millionen in jeder Art gräßlichen Leiden sich habe winden sehen, wie ihr Augapfel in unaus­sprechlicher Angst gerollt, ihre Glieder zerhauen und verstümmelt vor Schmerz gezuckt hätten. Gräßliche Wesen von schrecklichem Ansehen und phantastischen Formen schwebten rings umher, spotteten ihrer in­mitten ihrer Qualen, warfen sie in Kessel kochenden Schwefels und ersannen neue schärfere und erkün­steltere Martern, ein unablässiges Kreischen der Angst bezeugte die Todesschmerzen da unten.

Wehe dem, wer diese Darstellungen nicht glaubte oder auf seine Vernunft sich verließ, er wurde als Ketzer verbrannt, ja jeder Zweifel war als Beein­flussung des Teufels mit dem Tode strafbar. Kein Genuß der Gegenwart, keine Zerstreuung lenkten den Verstand ab, vorgeblich die christliche Religion,