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(01/01/2019) 12
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Ein Ausflug in's Ober-Engadin.

Von

Woldrmar Raden.

tch beschaue mir meine Stiefel, in denen ich meine letzte größere Reise gemacht: unzerrissen, glatt, anständig, weiterer Bewegungen fähig. Das war einst anders, da waren sie, unsäglichen Stra­pazen ausgesetzt, immer reparationsbedürftig, und nach vollendeter Reise flogen sie als gänzlich aus­gedient zum Fenster hinaus.

Ich schüttle den Kopf. Liebe Stiefel, wir werden bequem!

Wir werden bequem. Nicht blos an der hvher- steigenden Sonne unserer Jahre reift die an sich so süße Frucht unserer Bequemlichkeit, nicht blos das täglich zunehmende Embonpoint zwingt uns die Schuhsohlen mehr als in jungen Jahren zu schonen; nein, die Hauptschuld haben die immer mehr an­wachsenden und immer wohlfeiler werdenden Ver­kehrsbequemlichkeiten der Droschken, Fiaker, Trams, Omnibus, Posten, Dampfschiffe und Eisenbahnen; sie verlocken uns mit Ruf, Pfiff, Glockensignalen, mit Plakaten, Fahrplänen und kombinirbaren Rund- reisebilleten und wir lassen uns verlocken. Schwitzend sinkt man mit einem Ach! in die Polster zurück und macht es sich bequem.

Dort steht unser Koffer, unser Reisekamerad, denn wir sind gleich ihm ein Gepäckstück geworden, anfgegeben auf der heimatlichen Station, Berlin, Dresden, München oder Tripstrille, abgeliefert an einen Gasthäusler der Endstation, Paris oder Jnter- laken, Moskau oder Rom. Doch ich will nicht lästern: es giebt auch kranke Menschen und Mil­lionen, welche keine Zeit haben, denen der Blitzzug noch immer wie eine Schnecke durch die Länder kriecht.

Aber die Gesunden, und Die, welche Ferien­monate oder jährlich 365 Tage Zeit haben?