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lVoldemar Raden.
O ihr schönen Tage, ihr Tage der laufschrittlustigen Jugend, wo die Füße mit dem Kopfe in freundlichem Einverständniß lebten, und dieser von jenen sich tragen ließ, wohin sie wollten, und jene immer zufrieden waren mit dem, was dieser Phantastisches ausgeheckt. So weit die Welt war, so erreichbar schien doch Alles, wenn man als Ferien- zngvogel den Schulstaub von den Schwingen schüttelte und die mitwandernden Vögel grüßte:
„Ihr Wandervögel in der Luft,
Im Sonnenschein, im Aetherduft,
Auf blauen Himmelswellen,
Euch grüß ich als Gesellen!
Ein Wandervogel bin ich auch,
Mich trägt ein freier Lebenshauch,
Und meines Sanges Gabe Ist meine liebste Habe."
Ein schönstes Ziel war die Schweiz. Dort wollte man das älteste Sehnen, das Schiller durch seinen „Tell" im jungen Herzen geweckt, stillen, und wer stimmte zu solcher Fahrt besser zusammen als ein aufstrebender Maler und ebensolches Dichterlein, denen die Welt ringsum als ein großes Skizzen- und Reimbuch erscheinen wollte und der Himmel, auch bei Regenwetter, immer voll Baßgeigen hing.
Vorwärts! Aus Deutschland hinaus, über den blanken Bodensee, in Lindau den Ranzen aus dem Coupee noch aufs Dampfboot verladen — hinüber nach Rorschach: Schweizerboden! Und jetzt den Ranzen aus den Rücken und südwärts das Rheinthal hinauf. Dem jungen Rhein galt das erste Lied. Wie hat die lichtersüllte Landschaft ihm und natürlich uns zu Ehren sich geputzt; ein Wälderkranz schmückt ihre Stirn, im Vorgrund lachen gastliche Häuser unter üppigem Baumgrün, von Gärten gesäumt; Alles so elegant, auch iu dem weniger Vornehmen so sauber und heimelig, in Sonntagsmorgenstimmung getaucht, eine lustige, wie frisch- angestrichene Gegenwart, während das nachdenkliche Mittelalter in dunklen erinnerungsreichen Burgen vom Felsen in das moderne leichtlebige Treiben der Sommergäste hineinschaut. Das Auge hebt sich und erfaßt liebe Berge und ferne blaue Alpenzüge; frische Luft athmen die gesunden Lungen. In vollen reinen Duraecorden tönt eine Wanderjubelouverture in unsere Seele, die Einleitung zu dem Festspiel, in dem wir als überall willkommene Gäste auf- treten wollen. Ein Abstecher nach Appenzell muß gemacht werden; dort in der Höhe liegt über dem Wildkirchli die Ebenalp, wo Meister Scheffel seinen Herzkranken Ekkehard gesunden läßt. Eine Menge Kurorte und Molkenkurorte giebt es noch da herum und Gesundbrünnlein springen überall; weiter drunten findet sich das berühmte Ragatz mit dem ernsten Pfäfers. Was aber kümmern uns die Gesundbrunnen, wir halten uns zu Bier und Wein — denn:
„Hochlandluft zehret, doch Rebenduft nähret,
Heia, wer reicht mir das Trinkhorn geschwind? Dreifacher Durst ist dem Sänger bescheeret lieber den Wolken und über dem Wind!"
Und dieser dreifache ward oft zum siebenfachen, und dann saß der Leib lange vor Ort, während die Seele doch schneller vorwärts kam als mit Extrapost. Da ist schon Mayenfeld, Malans; das frische Bergmädel, die Landquart, stürzt, übersprudelnd vor Freude, als Braut dein jungen übermüthigen Rhein in die Arme, und wir gehen hinauf in die Heimat der Braut, zu melden, daß sie glücklich angekommen. Diese Heimat ist das Prättigau. Bei Klus öffnet es sein Thor, steile Felsenpfeiler bilden die Thürpfosten; und näher rücken die Felsen zusammen. Die Straße hat sich durch das Gestein nagen müssen und unten braust und brandet und geberdet gar unbändig sich in seinem engenden Bette der Fluß und hinter uns her kommt der Thalwind und schiebt und treibt uns den Berg hinaus, an Seewis vorüber, wo Salis sang, an Grüsch, Schiers, Jeuatz, Küblis, Serneus, an unzähligen Sennhütten und Ställen vorüber. Jene Namen muthen uns fremd an: wir sind im Canton Graubünden, in dessen Thälern wohnen noch viele Leute romanischer Zunge, aber in den Häusern, die unsere Straße säumen, sind wir rasch heimisch. Das sind reizende Idylle, welche die hiesige Hvlzarchitektur geschaffen, wahre Prachtexemplare von alten Häusern, schöner als die berühmtesten des Berner Oberlandes. Eine Holztreppe führt zu der vorspringenden Galerie hinauf, sie ist mit Blumen besetzt, mit den beliebten Feuernelken und Geranien: Zwischen den Ornamenten der Friese lesen wir alte Jahreszahlen und Namen und fromme Sprüche. Ein vollbackiges Kindergesicht zeigt sich, ein Mädchen, „frisch und blühend wie Alpenrosengluth" grüßt den Vorüberziehenden nach.
Dieses Prättigau, zwischen dem schönen Rhäti- con und der Hochwangkette, mit den stolz geformten Bergen, den matteugrünen Terrassen, der üppigen Vegetation, ist der Garten Graubündens. Dem Lande entsprechen seine Einwohner, ein gesundes, thatkräftiges Volk, das das beste Vieh züchtet und ein behäbiges Leben führt.
Bei Klosters hat diese Freude ein Ende. Die Straße biegt im rechten Winkel nach Südwesten ab in die Davoser etwas langweilige Landschaft hinein: Wiesen, Tannenwipfel, Berggipfel, ein See, am See ein Dorf; die übrige zugängliche Landschaft gefüllt mit Hotels, Häusern, Pavillons, Weilern und Hütten — das ist Davos „Dörfli" und „am Platz", das Brustkrankenhospital im Schnee. Die Thalschaft ist fünf Stunden lang und liegt etwa 5000" über dem Meer. Aus den einsäumenden Bergzügen wollen sich besonders bemerkbar machen die Schyahörner, das Schwarzhorn, der Hochdukan.