Nach St. Moritz-Bad. 569
Ich nannte St. Moritz ein Weltbad. Das ist es, und seine Quellen haben einen Weltrus. Ihnen gebührt die Krone und man darf getrost behaupten, daß das Engadin in seiner Gesammtausdehnung sowohl, als im Besonderen das Ober-Engadin die Begründung und Ausbreitung seines Namens nicht sowohl seinen Bergriesen, seinen mächtigen Gletschern, nicht dem Jnnstrome verdankt, sondern ausschließlich den Stahlguellen von St. Moritz. Aber der Weltruf hat sich in den letzten Jahren noch ganz bedeutend gehoben, indem man draußen ansängt, neben den Heilquellen gleichzeitig die bedeutenden klimatischen Wirkungen und Vorzüge des Ortes zu schätzen.
Das unübertroffene Höhenklima des Ober-En- gadins wirkt in vorzüglichster Weise stärkend und belebend auf den Organismus ein, und sein endgültiger Einfluß macht sich gleich wie derjenige des inneren und äußerlichen Gebrauches der Stahl- brnnnen in der Hebung der Blutbildung und in der Kräftigung des ganzen Organismus (wir, Frauen wie Männer, bedürfen deren so sehr) geltend, so- daß diese beiden Factoren in ihren Wirkungen in vortrefflicher Weise sich gegenseitig ergänzen und verstärken. Was den berühmtesten Stahlquellen unseres Tieflandes nicht mehr gelingen will, gelingt den St. Moritzer Quellen; davon singen und sagen tausende Genesener.
Nun stelle man sich unter diesem entfernten Alpenorte nicht etwa ein halbverfallenes Bauerndorf vor, dafür müßte er nicht in dem schasfens- kräftigen Engadin liegen, dessen Bewohner sich so vortheilhaft anszeichnen durch umgängliches, wirth- liches und gastfreundliches Wesen, durch Welt- und Sprachgewandtheit, Anstelligkeit im Fremdenverkehr, durch Gentilezza, Bildung, Erfahrung und tüchtige Unternehmungslust.
Nein: St. Moritz — dies Zeugniß wird ihm der Anspruchsvollste ausstellen — ist ein vornehmer, moderu-comfortabler, allen, auch den höchsten Ansprüchen gerecht werdender Badeort.
Ich schweige von meinen Eindrücken, die ich immer und immer wieder empfangen, und lasse einen anderen Weitgereisten, Fritz Wernick, sprechen. Er sagt in Bezug auf das Aeußere dieses „interessanten Weltbades": „Man kann sich kaum einen stärkeren Gegensatz denken, als denjenigen, welchen uns ein etwa einstündiger Spaziergang aus dem einfachen Pontresina nach diesem Badeorte vermittelt. Er führt über schäumende Gletscherwasser, waldige Berge, an kleinen Seen vorüber, eine angenehme, gern begangene Promenade. Aber schon von dem Rande des letzten Hügelrückens, auf dem eine Meierei, eine Vergnügungsstätte der beiden Nachbarorte, liegt, sieht man hinab in eine ganz andere Welt. Auf dem See von St. Moritz schau
keln sich Gondeln und Barken, mit italienischen Gondolieren bemannt. Ungeheure Palastsronten steigen in dem grünen Grunde empor. Von der alten Muttereolonie, dem Dorfe, hat das Bad sich längst emanzipirt. Ein halbes Dutzend ausgedehnter, einstöckiger Gasthvfe (Kurhaus St. Moritz, Hotel Victoria, Hotel du Lac, Hos St. Moritz, Hotel Engadin und Bellevue), ein Kurhaus und daneben die Trink- und Badeanstalten bilden allein den Ort, der sich St. Moritz-Bad nennt. Aber sie genügen den andrängenden Gästen lange nicht mehr. Währt ja auch hier die Saison fast nur zwei Monate, den Juli und August (St. Moritz ist natürlich kein Winterkurort), in die sich Alles zusammendrängt, was hier Genesung sucht. Blutarmen Frauen scheint das Wasser besonders zuzusagen, aber auch jeder stark zerrüttete Organismus, jeder vom nahenden Alter welk und schlaff werdende Körper erfährt die verjüngende Kraft des St. Moritzer Wassers (also doch eine »l^ontuino äo ckonvones!«). Adelaide Ristori, die seit Jahren hier diese Wirkung erprobt, ist nicht der einzige feste Stammgast des Bades. Gekrönte Häupter und Fürstenfamilien, Staatsmänner und Diplomaten, Franzosen, Italiener, Amerikaner, Engländer, Deutsche (selbst auch viele Schweizer) pilgern Jahr für Jahr hierher an den Heilbrunnen. Gewiß werden seine mineralischen Bestandtheile das Beste thun, aber sie würden sicherlich nicht solche Wunder wirken, wenn sie in irgend einer Niederung aus dem Boden sprudelten. "
Es dürfte manche Leserin und manchen Leser unseres „Universum" interessiren, mit wem sie gegebenen Falles hier Zusammentreffen könnten, sei es auch nur, um ihre Toiletten danach einzurichten.
Ich greife auf gut Glück ans den Fremdenbüchern des Ortes ein paar Dutzend höchster und hoher Namen heraus und nenne: den König Karl von Württemberg mit Gemahlin und Erbprinzen; Großherzog und Großherzogin, Prinz und Prinzessin Wilhelm von Baden; Kronprinz von Schweden; Frau Herzogin Wera von Württemberg (Großfürstin von Rußland); Herzog Philipp von Württemberg und Sohn; Fürst von Hohenzollern-Sigma- riugen; Großherzog Ludwig von Hessen-Darmstadt mit Großherzogin Alice; Frau Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin; Herzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin; Großherzog von Oldenburg nebst Gemahlin u. s. w. In gleicher Weise ist Oesterreich vertreten, Frankreich, Italien (dessen Königspaar wiederholt hier war, wie denn Italien überhaupt einen gewaltigen Zug nach diesem Bade hat) u. a. Diesen Hohen gesellen sich bei Vertreter der höchsten Aristokratie aller Nationen und die Beherrscher der Börse. Aber auch die Beherrscher der Geister, Geistesfürsten und Ritter vom Geiste, und