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(01/01/2019) 12
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Nach St. Moritz-Bad. 569

Ich nannte St. Moritz ein Weltbad. Das ist es, und seine Quellen haben einen Weltrus. Ihnen gebührt die Krone und man darf getrost behaupten, daß das Engadin in seiner Gesammtausdehnung sowohl, als im Besonderen das Ober-Engadin die Begründung und Ausbreitung seines Namens nicht sowohl seinen Bergriesen, seinen mächtigen Glet­schern, nicht dem Jnnstrome verdankt, sondern aus­schließlich den Stahlguellen von St. Moritz. Aber der Weltruf hat sich in den letzten Jahren noch ganz bedeutend gehoben, indem man draußen an­sängt, neben den Heilquellen gleichzeitig die bedeu­tenden klimatischen Wirkungen und Vorzüge des Ortes zu schätzen.

Das unübertroffene Höhenklima des Ober-En- gadins wirkt in vorzüglichster Weise stärkend und belebend auf den Organismus ein, und sein end­gültiger Einfluß macht sich gleich wie derjenige des inneren und äußerlichen Gebrauches der Stahl- brnnnen in der Hebung der Blutbildung und in der Kräftigung des ganzen Organismus (wir, Frauen wie Männer, bedürfen deren so sehr) geltend, so- daß diese beiden Factoren in ihren Wirkungen in vortrefflicher Weise sich gegenseitig ergänzen und ver­stärken. Was den berühmtesten Stahlquellen unse­res Tieflandes nicht mehr gelingen will, gelingt den St. Moritzer Quellen; davon singen und sagen tausende Genesener.

Nun stelle man sich unter diesem entfernten Alpenorte nicht etwa ein halbverfallenes Bauern­dorf vor, dafür müßte er nicht in dem schasfens- kräftigen Engadin liegen, dessen Bewohner sich so vortheilhaft anszeichnen durch umgängliches, wirth- liches und gastfreundliches Wesen, durch Welt- und Sprachgewandtheit, Anstelligkeit im Fremdenverkehr, durch Gentilezza, Bildung, Erfahrung und tüchtige Unternehmungslust.

Nein: St. Moritz dies Zeugniß wird ihm der Anspruchsvollste ausstellen ist ein vornehmer, moderu-comfortabler, allen, auch den höchsten An­sprüchen gerecht werdender Badeort.

Ich schweige von meinen Eindrücken, die ich immer und immer wieder empfangen, und lasse einen anderen Weitgereisten, Fritz Wernick, sprechen. Er sagt in Bezug auf das Aeußere diesesinter­essanten Weltbades":Man kann sich kaum einen stärkeren Gegensatz denken, als denjenigen, welchen uns ein etwa einstündiger Spaziergang aus dem einfachen Pontresina nach diesem Badeorte ver­mittelt. Er führt über schäumende Gletscherwasser, waldige Berge, an kleinen Seen vorüber, eine an­genehme, gern begangene Promenade. Aber schon von dem Rande des letzten Hügelrückens, auf dem eine Meierei, eine Vergnügungsstätte der beiden Nachbarorte, liegt, sieht man hinab in eine ganz andere Welt. Auf dem See von St. Moritz schau­

keln sich Gondeln und Barken, mit italienischen Gondolieren bemannt. Ungeheure Palastsronten steigen in dem grünen Grunde empor. Von der alten Muttereolonie, dem Dorfe, hat das Bad sich längst emanzipirt. Ein halbes Dutzend ausgedehn­ter, einstöckiger Gasthvfe (Kurhaus St. Moritz, Hotel Victoria, Hotel du Lac, Hos St. Moritz, Hotel En­gadin und Bellevue), ein Kurhaus und daneben die Trink- und Badeanstalten bilden allein den Ort, der sich St. Moritz-Bad nennt. Aber sie genügen den andrängenden Gästen lange nicht mehr. Währt ja auch hier die Saison fast nur zwei Monate, den Juli und August (St. Moritz ist natürlich kein Winterkurort), in die sich Alles zusammendrängt, was hier Genesung sucht. Blutarmen Frauen scheint das Wasser besonders zuzusagen, aber auch jeder stark zerrüttete Organismus, jeder vom nahenden Alter welk und schlaff werdende Körper erfährt die verjüngende Kraft des St. Moritzer Wassers (also doch eine »l^ontuino äo ckonvones!«). Ade­laide Ristori, die seit Jahren hier diese Wirkung erprobt, ist nicht der einzige feste Stammgast des Bades. Gekrönte Häupter und Fürstenfamilien, Staatsmänner und Diplomaten, Franzosen, Italie­ner, Amerikaner, Engländer, Deutsche (selbst auch viele Schweizer) pilgern Jahr für Jahr hierher an den Heilbrunnen. Gewiß werden seine minerali­schen Bestandtheile das Beste thun, aber sie wür­den sicherlich nicht solche Wunder wirken, wenn sie in irgend einer Niederung aus dem Boden spru­delten. "

Es dürfte manche Leserin und manchen Leser unseresUniversum" interessiren, mit wem sie ge­gebenen Falles hier Zusammentreffen könnten, sei es auch nur, um ihre Toiletten danach einzurichten.

Ich greife auf gut Glück ans den Fremden­büchern des Ortes ein paar Dutzend höchster und hoher Namen heraus und nenne: den König Karl von Württemberg mit Gemahlin und Erbprinzen; Großherzog und Großherzogin, Prinz und Prin­zessin Wilhelm von Baden; Kronprinz von Schwe­den; Frau Herzogin Wera von Württemberg (Groß­fürstin von Rußland); Herzog Philipp von Württem­berg und Sohn; Fürst von Hohenzollern-Sigma- riugen; Großherzog Ludwig von Hessen-Darmstadt mit Großherzogin Alice; Frau Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin; Herzogin Marie von Meck­lenburg-Schwerin; Großherzog von Oldenburg nebst Gemahlin u. s. w. In gleicher Weise ist Oester­reich vertreten, Frankreich, Italien (dessen Königs­paar wiederholt hier war, wie denn Italien über­haupt einen gewaltigen Zug nach diesem Bade hat) u. a. Diesen Hohen gesellen sich bei Vertreter der höchsten Aristokratie aller Nationen und die Beherr­scher der Börse. Aber auch die Beherrscher der Geister, Geistesfürsten und Ritter vom Geiste, und