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Allgemeine Rundschau.
unter den Säuglingen zu vermindern, wird mair sich hüten müssen, sie zu verurtheilen. Lägen die Verhältnisse auf unserer Seite, wie sie drüben liegen, würde neben dem Wunsche, sich der Hülflosen anzunehmen, der Gedanke sich wahrscheinlich ebenfalls eingemengt haben, der Nation die Zukunftssoldaten zu erhalten. Ein Volk ist in solchen Dingen wie das andere. Denn die Natur kennt keinen Grenzpfahl und säet hüben wie drüben menschliche Schwäche und menschliche Tugend zu gleichen Theilen.
Lassen wir die Soldaten aber jetzt ganz aus dem Spiele, es versteht sich, daß der Bebeausstellungsverein ihrer mit keiner Silbe erwähnt. Im Gegentheil. Während die Patrivtenliga sein Walten im nationalen Interesse begrüßt, ist er selbst bemüht, seinen Zweck als einen durchaus internationalen zu proklamiren: «Oomito cln oouoours universal <1o bobos«, nennt er sich und betont damit, daß er den Kindern der ganzen Welt seine Vortheile zu gute kommen lassen möchte. Die Bebe's der ganzen Welt vom ersten bis zum fünften Lebensjahre waren auch eingeladen, sich an der ausgeschriebenen Preisconcurrenz zu betheiligen.
Von außereuropäischen Kindern hat sich diesmal leider keins einschreiben lassen!
Das ist aber nicht als Demonstration gegen das französische Volk aufzufassen. Läge Kamerun näher an den Thoren von Paris — bespülte die Seine Jerusalem, so würden wir sicher auch Preisringer aus jenen Zonen begrüßen.
Selbst europäische Kinder, welche nicht zugleich französische Unterthanen sind, haben sich sehr schwach betheiligt. Es lief ein Gerücht, sie wären gar nicht vertreten. Das darf aus demselben Grunde nicht wunder nehmen. Wo soll der jugendliche Preiskämpfer von Moskau oder der Krim, von der Insel Island oder dem Golf von Neapel den Muth hernehmen, jene Eigenschaften, welche ihn zum Siege so fähig machen würden, den Strapatzen einer weiten Reise auszusetzen?
Aus diesem Grunde wird der Sieg voraussichtlich den Franzosen bleiben und alle medaillirten Kinder werden französische Kinder sein.
Wie ich im Anfang schon andeutete, hat das Princip der Thierschutzvereine gewissermaßen den Anstoß und das Beispiel für diesen Verein gegeben. Waren die Vögel unter dein Himmel, für deren Kleidung und erste Pflege die Natur ohnedies ganz anders gesorgt hat, nicht zehnmal besser daran, als die Säuglinge unbemittelter Menschen? Und doch hatten sie ihren Schutzverein. Für andere Thiere, wie Schafe, Rinder, Schweine zahlte man dem Besitzer hohe Prämien, wenn er wohlgenährte, schone Exemplare erzielte. Das übte dann einen wesentlichen Einfluß auf die Besitzer; sie wurden dadurch angespvrnt, ihre Thiere sorgfältiger zu Pflegen, zn füttern, zu beachten. Anr besten waren jedenfalls die Pferde daran. Bei be- sorgnißerregenderKrankheit oder plötzlichem Todesfall wurde der Maire in Kenntnis; gesetzt und der Beterinärarzt mußte Ursache der Krankheit oder des Todes genau untersuchen. War eine Stute preisgekrönt, wurden ihre Fohlen in ein sogenanntes „goldenes Register" auf der Präfectur eingeschrieben. Die französische Regierung gab, wie man berechnet hatte, jährlich mehr für ihre Stickereien aus, als es bedurfte um 100,000 armen Säuglingen das Leben zu retten, die im Elend untergingen.
„Warum geschieht dasselbe nicht für die Neugeborenen der Menschen? Ist ein kleiner Franzose nicht ebensoviel Werth als das Fohlen einer Vollblutstute?"
Diese Fragen stellte 1872 schon der Doctor Brochard an das französische Volk. Er war es, der zuerst die Idee eines Kinderschutzvereins mit Ausstellung, Medaillen u. s. w. anregte. Noch ehe er seinen Plan reifen sah, raffte der Tod ihn dahin. '
Sein Plan überlebte; aber er hatte viele Angriffe auszuhalten. Das Geld ist immer knapp, wo der Ersolg unsicher ist. War die Idee überhaupt werth, daß man sein Geld daran setzte? Was wäre das für ein Unsinn, Bebe's zu prämiiren, wie Schafe! Wenn man eine Herde Bebe's in einen gemeinschaftlichen Stall sperrt, werden ansteckende Krankheiten die Folge sein u. s. w. u. s. w. So spottete man.
Da die Idee lebensfähig war, ging sie am Spott nicht zu Grunde. Jeder Hinweis auf ihre Mängel wurde zugleich eine Warnung diesen Vvrzubengen. Vor Allem trachteten die, welche sich mit der Gründung eines Vereins' im Bebeinteresse beschäftigten, eine strenge ärztliche und künstlerische Controlle an die Spitze zu stellen, welche das Examen der vorgeschlagenen Kinder vornähme. Es ist das Examen der Zukunstsrekruten. Nächstens werde ich einen: beiwohnen. Nach dem, was ich davon gehört, wird sicher einmal keiner für dienstunfähig erklärt, der es bestanden hat.
Von der Idee ausgehend, daß bei einem Kinde Schönheit und Gesundheit immer zu Paaren gehen, und daß die Schönheit der Rasse beim Menschen nach ähnlichen Grundsätzen erzielt werden könne, wie bei anderen Thierklassen, war mau fest entschlossen, sie beim Bebe als eines der Hauptmomente zu betrachten.
In dem officiellen Programin finde ich darauf bezüglich folgenden Passus:
ck,OS rooompousos sorout aooorckoos ü oonx «tont las kormos oxtoriouros 80 rapproockorcmt plus clu t/po <lo ckoauto, eouou pur los unoions, ot non poiut ü 068 pliouomönos inonstruoux cxu'on oxlcklro (laus los tkoiros . . .
Diese Worte geben zu denken, weil sie in: Widerspruch stehen mit der herrschenden Kunstströmung in Frankreich, welche den Schönheitstypus der Alten verdammt und eine pikante Häßlichkeit an seine Stelle gesetzt hat. Vielleicht fürchtet das Bebecvmitee nicht mit Unrecht, daß die Vorliebe für die modern gewordene Häßlichkeit einen schlimmen Einfluß auf den französischen Typus überhaupt üben könne, und sucht diesen: vorznbeugen.
Jobbe Duval, einer der bekanntesten französischen Maler, steht an der Spitze der Kunstjury, secnndirt von einer Anzahl angesehener Bildhauer und Maler. Mau ist gespannt auf den Laureaten.
3908 Kinder sind von der Jury der Aerzte und Künstler geprüft worden; 374 nur wurde:: als zur Ausstellung zulässig befunden!
In zwanzig Punkten muß ein Kind den Ansprüchen des ärztlichen und in ebensoviel Punkten den Ansprüchen der künstlerischen Jury genügen, um zur Concurrenz zugelassen zu werden. Die genauen Resultate des Examens (die ärztliche Jury ist aus neun tüchtigen Aerzten zusammengesetzt) werden den Eltern der betreffenden Kinder bekannt gemacht. Wie werthvoll sind darum diese Examen für die spätere Behandlung des Kindes. Alle Bemühungen dieser menschenfreundlichen Aerzte und Künstler haben selbstverständlich keinen anderen Lohn, als den das Bewußtsein giebt, einem edlen, des Erfolges noch ziemlich unsicheren Zweck zu dienen.
Während. .
Ein leidlich schöner Tag; kühl, regenlos. Nicht nur die Familien der zur Concurrenz zugelassenen Kinder, sondern auch die Familien nebst Kindern, welche angemeldet und nicht zugelassen wurden, nebst Familien von Kindern, welche für das nächste Jahr zur Ausstellung eingeschrieben wurden, haben freien Eintritt in den Trocadero. So sieht man Karawanen ziehen, welche jede Befürchtung an Kindermangel in Paris auszuschließen scheinen.
Die Porträts der sieben ersten Preise — es war so