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(01/01/2019) 12
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Allgemeine Rundschau.

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viel Schönheit vorhanden, daß die Preisrichter die 1000 Mark-Medaille zertheilen mußten werden an den Thüren ansgeboten. Sie sind über Hals und Kopf lühographirt worden. Ich kaufe sie und bin entsetzt, ohne mich durch die schwarzen Abbilder gegen die Originale einnehmen zu lassen, die ich zu schauen gekommen bin.

Ich habe mir einen guten Platz im Parquet besorgt, um mich nicht des Fernrohrs bedienen zu müssen. Ein eigenthümliches Gepräge hat dieser Zuschauerraum eine Versammlung von einigen Tausend Bebe's tagt; etwa die Hälfte nur kennt die vier Jahreszeiten aus Erfahrung. Das ist ein Schreien, Zischen, Brüllen, Zirpen, Zetern, Krächzen, Grunzen, Krähen, Kreischen, Johlen, Kichern! Dem Eindruck der Geräusche nach befindet man sich in einem riesigen Affenhaus, das zur Hälfte von Vögeln be­wohnt wird. Diesen haben sich einige Katzen jugendlicher Art nachgeschlicheu Alles bei Stimme und in voller Ausübung derselben!

Wie soll ein Concert unter dieser Begleitung statt- fiuden? frage ich mich. Denn da die Einnahme aller besseren Plätze zum Besten des Vereins verwandt werden soll, und man einer guten Einnahme gern sicher wäre, hat mau Künstler vom Theater Franeais, der Oper und verschiedenen anderen Theatern aufgeboten, um das ver­sammelte Publikum nicht nur durch Kinderlärm und den Anblick glücklicher oder gekränkter Mütter zu unterhalten.

Leider scheinen viele Plätze leer zu bleiben. Ueber- füllt sind nur Amphitheater und Gallerie, Ivo Bebe's und Zubehör freien Eintritt haben.

Vor mir sitzt neben Großmutter und sehr junger Mama sie kann kaum achtzehn Jahre zählen ein wunderhübsches kleines Mädchen von etwa achtzehn Mo­naten. Blond; ein Gesichtchen, bei dem der Ausdruck von Lieblichkeit und Frohsinn fast die Schönheit der Züge noch überbietet. Ich bin nicht gerade, was man so einen Kindernarren nennt; ich freue mich an Kindern, wie ich Gedichte lese dann und wann, nicht jeden Tag. An jenen: Bebefest war ich in der Stimmung für Kinder­poesie. Das kleine Mädchen entzückte mich. Ich sagte ihrer Großmutter (wenn es Jemand giebt, der noch eitler auf ein Kind ist, als die Mutter, so ist es sicher die Großmutter!) wie reizend ich sie fände; sie hieß Reinoe. Man darf, ohne zu beleidigen, eine solche Unter­haltung mit den weiblichen nächsten Verwandten eines Kindes anknüpfen, auch wenn man ihnen nicht vorgestellt ist. Die kleine Reinae stand auf dem Fauteuil zwischen den beiden Frauen. Sie hatte sich nach mir umgewendet, und während sie alle ihre Grübchen lachend zeigte und mit einem Aermchen über den: Kopf gestikulirte, rief sie, während ich ihr Lob sang, immerfort: non, non, non!

Die junge Mutter, welche sich natürlich in das Ge­spräch gemischt hatte, bemerkte:Das ist ihr Lieblings­wort: sie ruft den ganzen Tag: non, non, non!"

Wie bezeichnend für diese hübsche, kleine Französin im Keim! dachte ich. Wie Biele wird sie mit ihrem: non, non, non! einmal in Verzweiflung bringen, wenn sie fort­fährt so schön zu bleiben wie sie jetzt ist!

Ich bedauere" versicherte ich beiden Frauen daß ich keine Medaille zu vertheilen habe. Ich würde sie Reinoe geben!"

Aber sie hat ja eine Medaille!" entgegnete das Mamachen, ein bischen pikirt, als ob daran zu zweifeln gewesen.

Es stellte sich nun heraus, daß die Eltern der vor­nehmeren Preiskinder es vorgezogen hatten, Plätze im Parquet statt auf der Estrade zu nehmen. So erschien auch bald an meiner linken Seite ein anderes Preiskind, etwa in: selben Alter wie Reinoe. Während Reinoe blond, war diese brünett. Sie hatte ebenfalls eine noch recht junge, hübsche Mama und sogar Eskorte von zwei

Großmüttern. Glücklicherweise hatte man sie zuerst iu die Bank gelassen, so saß sie neben mir; die dreimütterliche Schutzmannschaft folgte. Trotz der dunkelbraunen Haare, war dieses kleine Mädchen sehr weiß. Sie hatte runde, glänzende Augen von der Farbe der Haare und ein rei­zendes, etwas trotzig aufgeworfenes Mäulchen. Während sie mich von unten herauf aufmerksam und ernst ansah sie merkte, daß sie mir gefiel war sie weder zu einen: si noch zu einem non zu vermögen, als ich mit ihr sprach. Indem ich noch überlegte, welchem der beiden kleinen Mäd­chen ich wohl den Schönheitspreis zuerkennen würde, er­schien hinter mir eingerahmt von beiden Eltern ein etwa fünfjähriger Knabe, ein Prachtkerl, durchaus brü­nett, auch dem Colorit nach. Er stach, was die Züge an­langte, die kleinen Mädchen fast aus. O, wie wünschte ich alle Kinderfreunde in diesen Saal!

Nachgerade hatte die Estrade- Bühne, wenn man will sich gefüllt. Sie bestand ans vier Abtheilungen amphitheatralisch aufsteigender Bänke, deren jede etwa 20 bis 24 zählte. Abtheilungen rechts und links gehörten den zweiten und dritten Preisen. Die beiden mittelsten waren-eine für das Orchester, die andere für die ersten Medaillen bestimmt. Links vorn ein Tisch mit Blumen­sträußen und Bonbons für die Bebe's. (Man hatte sich überhaupt mit suero ck'orAes, bondmm rc. für die prä- mürte höhere Zoologie versehen.) Rechts ein Harmonium und Harfe. In der Mitte ein Tisch mit Medaillen und einigen Hundert blaurothweißen Schleifen, überragt von einer mächtigen Glocke. Dahinter einige Comiteemitglieder.

Auf den Bänken ein Hin- und Herwogen von Con- currenzkindern. Die meisten werden getragen, weil sie noch auf Windeln ruhen. Man sieht entzückende Kinder Kinder zum Abdrücken zumAufessen", wie Manche sagen würden. Die Natur hat das Ihrige gethan, um sie der Medaillen iverth zu machen. Ach daß man sie so sehen könnte, wie die Natur sie schuf! Leider haben die Mütter das Ihrige gethan, um die natürliche Schönheit durch künstlichen nicht künstlerischen! Anputz zu zerstören.

Man denkt daran, was die armen Würmer durch ihre Verwandlung in Modemagazinpuppen auszuhalten haben und schaudert! Was soll ich von den Locken sagen, die ich ans dieser Estrade sah! Wo ein Wochenkind nur 60 Haare hatte, waren ihm schon zehn Locken daraus gedreht worden!

Die meisten Kinder das ist nicht nur mir aus­gefallen waren blond. Waren es französische Unter- thanen, so war sicher eine gute Mischung germanischen Blutes in den romanischen Adern.

Eine lebhafte Aufregung erregte ein fünfjähriger Knabe, den die Stadt Roubaix auf ihre Kosten zu dieser Ausstellung gesandt hatte. Ein beklagenswertstes, entsetz­liches Geschöpf, obgleich es höchst selbstzufrieden aussah und die Menge mit Kußhändchen grüßte. Er war 1 Meter 27 Cent, hoch und wog 144 Pfund! 72 Kilo! In braunem Sammet mit Gold verziert gekleidet, machte er den Eindruck eines jener unglücklichen Fettkinder, wie man sie auf Märkten zeigt.

Ich beobachtete die einzelnen Mütter. So etwas von komischer, oder um es pathetischer auszudrücken, von rühren­der Glückseligkeit als ich bei sechs der ersten Preismütter wahrnahm, ist mir selten Vorgekvmmen! Die meisten waren jung und hübsch. Es- war eine gewisse Familien­ähnlichkeit zwischen der Medaille und ihrer Mutter; auch hatten die letzter:: gewöhnlich versucht damit nur ja kein Jrrthum möglich! dies durch die Wahl der gleichen Farben für den Anzug noch besonders zu markiren. Alle Mütter hatten die Kinder aufgeputzt, um sich damit Ehre einzulegen; alle Mütter hatten sich selbst aufgetakelt, um den Kindern Ehre zu machen. Nein, nicht alle. Die siebente nicht. Es war eine Frau aus dem Volke im