Heft 
(1.1.2019) 12
Seite
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Allgemeine Rundschau.

Kattunrock mit blauer Schürze. Vor, neben und hinter mir zischelte Alles, das; sie es wage, sich in diesem Aufzug vor dieser Versammlung zu zeigen. Sie konnte wohl des Schmuckes entbehren sie trug den ausgesucht kräftigsten und schönsten Buben im Arm, ein Prachtkind von sechs Monaten. Sie drehte dem Publikum den Rücken zu, als sie an den Tisch trat, die Medaille zu empfangen. Da nahm der Präsident ihr das Kind ab und hielt es einen Augenblick dem Publikum entgegen. Es strampelte und lachte ein Sturm des Applauses brach los. Die Mutter fuhr sich mit der Hand nur einmal über die Augen, dann nahm sie das Kind und setzte sich ganz ruhig wieder auf ihren Platz. Ich habe nie ein so ruhiges, fast gleichgül­tiges Gesicht gesehen bei solchem Erfolg. Dieses Weib mußte entweder ein großes Herz haben, das Glück demüthig macht, oder einen schweren Kummer, der es dominirt. Ich hörte, es seien ihr für ihren Buben 2000 Francs ge­boten worden; sie habe nur den Kopf geschüttelt und trotzig ausgesehen.

Unter den sieben ersten Preisen waren sechs kleine Mädchen ausgewählt schöne Kinder; zwischen zwei und vier Jahren schätzte ich sie.

Das eine dieser Mädchen (ganz blond, Augen, deren Blau bis in meine zehnte Parquetreihe strahlte) war ein wahrer Cherub aber ein Theaterengel. Ein blau- atlasnes Barett mit Federn, Perlen und Schleifen auf dem Kopf; der übrige Anzug dem angemessen. Auch eitle Väter sah ich. Aber wer wäre nicht ein bischen eitel auf unter Tausenden herausgesuchte, schöne, und vor allem, gesund erfundene Kinder!

Ich vergaß zu erwähneu, daß der Bebevereiu sich ganz besonders die Aufgabe gestellt hat, den Müttern die Rath­schläge, welche Jean Jacques Rousseau imEmile" giebt, an's Herz zu legen, und sie auszuzeichnen, wenn sie die ersten Pflichten ihren Kindern gegenüber selbst erfüllten, statt sie durch Andere erfüllen zu lassen. Eine kleine Broschüre ist zu dem Zweck gedruckt und unter die Mütter vertheilt worden.

Man konnte auf der Estrade beobachten, daß die Rath­schläge Jean Jaques bereits stark Eingang gefunden hatten; sie wurden verschiedene Male vor dem versammelten Publi­kum Lun.? Aon« in Scene gesetzt.

Jetzt bitte ich, nicht zu vergessen, daß während der fünf Stunden, welche diese Feier in Anspruch nahm der Beginn war um zwei Uhr festgesetzt und um sechs Uhr verließ ich, durchaus nicht eine der Letzten, den Saal das vorerwähnte Kinderconcert nicht einen Augenblick pau- sirte, ja daß es selbstverständlich jede Stunde an Vehemenz bedrohlich zunahm!

Man darf über eine Concertaufführung, die unter so erschwerenden Umständen zu Stande kommt, kein tadelndes Wort verlieren. Das Gebotene 26 Nummern! wäre vorzüglich gewesen, wenn man es überhaupt gehört hätte. Es ivurde fast zur Qual in einem Raum, wo einige Tausend Bebe's durcheinanderschrieen. Fräulein Durand vom Theater Frankens erschien an der Thür, die zum Podium führte, wies nach dem Amphitheater, wo die stärksten Brüller saßen, schüttelte den Kopf und verschwand ohne nur vorzutreten. Keiner wird ihr das verargt haben. Andere sangen und deklamirten wirklich; mitunter drangen auch ein paar Töne, eine Strophe, bis in's Publi­kum! Nur das Orchester konnte den Kampf aufnehmen und für das Parquet wenigstens fast immer als hörbare Begleitung sich neben dem Chor der Engel be­wegen. Aus dem Programm fielen etwa sechs Nummern weg. Es blieben immer noch zwanzig, und nachdem sie absolvirt waren, ivurde erst an die Bertheilung der Medaillen geschritten. Es war eine harte Geduldsprobe für Mütter und Kinder; ein Theil der Anwesenden hatte bereits den Saal verlassen. Wer jedoch sich die Schwierigkeiten vor­

stellt, die ein derartiges Unternehmen bietet, all' die Zu­fälligkeiten, die in den Kauf genommen werden müssen bei einer Feier, wo die Hauptmitwirkenden Kinder unter fünf Jahren sind, der wird sicher nur nrit Dankbarkeit und Bewunderung der Männer und Frauen gedenken, die Zeit und Talent selbstlos opferten, um sie überhaupt zu ermöglichen.

Ich hatte vor, in einemNachher" noch eine Sitzung des Vereins zu schildern, in welcher angemeldete Kinder die Prüfung der Künstler und Aerzte zu bestehen haben, welche über ihre Aufnahme für die nächstjährige Aus­stellung entscheidet. Da ich aber erfahren habe, daß in den nächsten Wochen keine stattfindet, muß ich mich dies­mal bescheiden und etwaige Jnteressirte auf den Herbst verweisen.

Zu unseren Illustrationen.

Studienkopf. Nach einem Gemälde von F. A. Kaulbach. Der dem vorliegenden Hefte beigegebene rei­zende Frauenkopf F. A. Kaulbachs ist eines der wenigen neueren Kunstwerke, das sich einer dauernden Werth­schätzung zu erfreuen hat und den Künstler weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machte, nament­lich seitdem nicht allein die deutsche Porzellanmalerei, deren Technik für die Neproductiou dieses anmuthigen und holdseligen Costümbildes ganz besonders geeignet scheint, sich desselben bemächtigte und in zahlreichen Wiederholungen durch die Welt verbreiten half, sondern seitdem auch einer unserer bedeutendsten lebenden Kupferstecher, Ed. Büchel in Dresden, ihn im Stich vollendet wiedergegeben hat. Allerdings liegt der Zauber dieses die Poesie des Mittel­alters einem unwillkürlich ins Gedächtnis; zurückrufenden minnigen Kopfes nicht zum geringsten Theile in dem zarten, durchgeistigten Colvrit, in dem bekanntlich F. A. Kaulback, der Sohn des ebenfalls hochgeachteten hannover­schen Porträtmalers Friedrich Kaulbach. ein Meister ist, und in welchem er in der That nur von wenigen lebenden Künstlern seines Fachs erreicht wird. Indessen Zeichnung, Ausdruck und malerische Auffassung sind Eigenschaften, welche vollkommen ausreicheu, um die Schönheit dieses Kopfes darzuthun und für den erst im 37. Lebensjahre stehenden reich veranlagten Künstler einzunehmen, dessen poesievollerMaientag" eine Perle unter den neueren Bil­dern der Dresdner Gallerie ist, und von dem wir sicherlich noch manche werthvolle Arbeit zu erwarten haben. 8.

Hvfansicht des Heidelberger Schlosses. Ori­ginalzeichnung von W. Gause. Siehe ArtikelAlt Heidel­berg, Du feine" von I)r. I. Steinbeck.

Der Barbier. Nach dem Gemälde von A. Jimenez. Der Künstler führt uns mit seiner launigen Ausführung in die Zeit Louis XVI. Der Zopf wurde verkürzt, die Haare an der Stirn zierlich gekräuselt getragen und wer­den dorr ton mitmachte und wer that dies damals nicht der ging zu Monsieur le Bonsbvur, dem Barbier und Haarkünstler. Keiner verstand es so wie er seine Kunden zu scheeren und die Haare zu kräuseln, dabei spru­delte sein Mund von tausenderlei komischen Einfällen und alle interessanten Histörchen wußte er mit einem vielsagen­den, doch nichts offen verrathenden Lächeln wiederzugeben. Er besaß auch ein vortreffliches Dominospiel, das er gern zur Verfügung stellte, um seine Kunden recht zu fesj'elu. Eben hatte er einem jungen Stutzer mit besonderer Vor­liebe ein kleines Skandälchen erzählt und bei der pikanten Pointe lächelten sich beide recht verständnißinnig an. Aber, v weh! die Brennscheere entglitt dabei ein wenig der kun­digen Hand und entlockte dem darunter Befindlichen einen leichten Schmerzensschrei, worauf von Seiten des erzürnten Vaters desselben ein heftig tadelndes:Ei, Ei! Monsieur le Bonsbour" eintrug. Er hatte viel zu beschwichtigen,