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standen, aber im Grunde genommen nur missverstanden. In diesen Fehler sind leider die Juden in den früheren Jahrhunderten verfallen. Erst im neunzehnten Jahrhundert begann die wissenschaftliche, d. h. die geschichtliche und kulturgeschichtliche Erforschung des Talmuds nach allen Richtungen.
Im Talmud — total genommen — befinden sich Ueberreste alter schriftlicher Denkmäler der Judenheit, die zum Theil sogar in die prähistorische Zeit, also noch weiter als das biblische Zeitalter, reicht. Es wurde nämlich mit Recht darauf hingewiesen, dass manche geschichtliche, oder sagenhaft klingende Ueberlieferung aus uralter Zeit, selbst aus dem Zeitalter der Patriarchen, die im Talmud enthalten ist, keineswegs einfach als „rabbinischer Aberwitz“ oder als agadische Dichtung genommen werden darf. Oft hat sich auf diese Weise ein Stück altjüdischer Geschichte erhalten, die aus verschiedenen Gründen in dem biblischen Schriftthum keine Aufnahme gefunden. Wir wollen damit nicht sagen, dass nun all’ die in der talmudischen Litteratur erhaltenen Sagen geschichtliches Material wären; aber dem Historiker von Fach wird es nicht zweifelhaft sein, dass auch Legenden, wenn man deren Entstehungszeit kennt, als Bausteine für die Geschichte benutzt werden können und unter Umständen auch benutzt werden müssen. Dies ist nicht nur bei dem agadischen Theil der talmudischen Litteratur der Fall, sondern auch bei dem sogenannten ha- lachischen, d. h. jenem, der sich ausschliesslich mit den religiösen Satzungen in Israel beschäftigt und den Ernest Renan — natürlich aus Unkenntnis — nicht schwarz genug malen ka