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Auch dieser halachische Theil enthält Ueberliefer- ungen, die bis in das biblische Zeitalter reichen und unter allen Umständen für die Kulturgeschichte, nicht nur der Juden, von grosser Bedeutung sind.
Der Ausgangspunkt des Talmuds ist in Wirklichkeit das sopherische Zeitalter, das zum Theil noch in der biblischen Epoche wurzelt und jedenfalls bis in das fünfte vorchristliche Jahrhundert hinaufreicht. Die „Sopherim“, die Schriftgelehrten, denen später zu Unrecht ein pendan- tisches oder gar heuchlerisches Wesen angedichtet worden ist, waren im gewissen Sinne die Fortbildner des Judenthums; ohne ihre fruchtbare Thätigkeit hätte diese Religion niemals mehr als eine lokale Bedeutung erlangen können. Wir wollen damit nicht behaupten, dass die Richtung, welche die Sopherim dem Entwickelungsgang des Judenthums gegeben haben, stets durchaus ein- wandsfiei gewesen sei; aber soviel steht fest, dass, wenn die mosaische Lehre nunmehr praktisch durchgeführt und Lebensnorm des jüdischen Volkes werden, wenn seit der Restauration durch Esra- Nehemia alles „wie geschrieben steht“ befolgt werden sollte, der Mosaismus nothwendig nicht als abgeschlossen gelten konnte und durfte, sondern vielmehr eine organische Fortbildung erfahren musste. Die Schriftgelehrten erweiterten somit das Schriftwort, indem sie es erklärten. Dadurch konnten sie zum Theil manches in der mosaischen Lehre der Zeit anpassen, manches erleichtern oder auch erschweren, je nachdem es die Zeitumstände zur Erhaltung des Judenthums erforderten. Zumeist hiess es, „einen Zaun um das Gesetz bauen“, d. h. der Gefahr Vorbeugen,
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