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genoss, und bei der grossen Bedeutung der religiösen Satzung für das damalige politische Leben, musste es bald dahin kommen, dass der politische Parteikampf in einen Streit um das Schrift wort ausartete. Die Schriftgelehrten, die man seither „Peruschim“ (Pharisäer) nannte*), verstanden es vortrrfflich, allmälig das Landvolk, das ursprünglich aus angeborenem Konservatismus treu zu der zaddokitischen Aristokratie gehalten hatte, zu sich herüber zu ziehen. Dadurch wurden sie eine mächtige Volkspartei, die alle staatliche Gewalt an sich zu reissen bestrebt war. Und da damals im jüdischen Volk das staatliche mit dem religiösen Leben so eng verbunden w r ar, so mussten die Schriftgelehrten vor Allem danach trachten, die Erklärung der Thora und deren praktischer Befolgung von ihren Auslegungsregeln abhängig zu machen. Nicht die alte Priesteraristokratie durfte fürder, wie es bisher der Fall war, als die legalen Erklärer der heiligen Lehre gellen, sondern sie, die Pharisäer, die Schriftgelehrten, ohne deren Auslegung das Schriftwort nicht befolgt werden konnte. Mit einer gewissen Absichtlichkeit stellten sie die Bedeutung ihrer Lehren und Anordnungen über die der heiligen Lehre. Viel wichtiger, lautet ein Ausspruch, seien die Worte der Schriftgelehrten als die Gebote der Thora; denn derjenige, der
*) Die etymologische Erklärung des Wortes פרושים ist noch nicht genügend gegeben, wenn auch die Ansicht Geigers, dass die פרושים mit den נבדלים (Esra 6, 26, Nehem. 10, 29), d. h. mit den von den heidnischen Gebräuchen „Abgesonderten“, identisch seien, die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat. Indess ist auch nicht ausgeschlossen, dass פרושים ursprünglich ein von den Zaddokim gegen die Demokratie gebrauchter Schimpfname war; darauf würde die Stelle im Traktat Sota 3, 4 hinweisen.