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vor diesem ,.eth“ nicht zurück — es müsste dahin „erweitert“ werden, dass man auch die Lehrer (die Talmide-Chachamim) ehrfürchten soll, denn „die Ehrfurcht vor dem Lehrer gleiche der vor Gott“*).
Diese Art Schriftauslegung wurde in späterer Zeit von Uebelwollenden ins Lächerliche gezogen, oder man zuckte mitleidig die Achseln über den „getrübten exegetischen Sinn“ der Sopherim. Indessen mit Unrecht. Nicht die gekünstelte Schriftauslegung hat die Erweiterung des Gesetzes geschaffen, sondern im Gegentbeil, durch letztere sah man sich genöthigt, dem einfachen Sinn des Schriftworts Gewalt anzuthun. In sopherischer Zeit war auch diese Methode nicht unbestritten; man stellte ihr den Satz entgegen: „Auch die
Thora drückt sich in der üblichen Sprachweise aus“. Mit anderen Worten: es handele sich in all diesen Fällen keineswegs um „überflüssige“ Worte oder Buchstaben, sondern um sprachliche und syntaktische Eigenthümlichkeiten, die mit zum Satzbau gehören. Aber dieser Grundsatz kam deshalb nicht zur Geltung, weil man im Geschmack jener Zeit Alles in der Thora finden wollte. Die Schriftgelehrten haben in der Regel alle Feinheiten der hebräischen Sprache gekannt und sehr gut gewusst, dass die „überflüssigen“ Worte und Buchstaben im Grunde genommen unentbehrlich
*) Dass diese Schriftauslegung aus alter Zeit herstammt, ist zweifellos. Denn abgesehen von den vielen Kontroversen, die uns in der talmudischen Litteratur blieben, sind auch die meisten griechischen Uebersetzungen der Thora, namentlich die von Aquila (die von den Mischnalehrern sehr gelobt wurde), von ihr abhängig. Dadurch entstand der eigenartige griechische Jargon, der diese Uebersetzungen kennzeichnet.