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biblischen Erzählungen kamen ihnen oft trivial vor, sie suchten sie daher zu „vertiefen“, d. h. zu allegorisiren. Sie konnten sich unmöglich denken, dass die göttliche Lehre sich mit den Erlebnissen einzelner Männer und Frauen, mögen sie noch so heilig gewesen sein, beschäftigen wollte; in jenen Erzählungen müsste entschieden „eine tiefe Wahrheit“ stecken. Es ist bekannt, dass aus diesen litterarischen Bestrebungen, deren Hauptvertreter der Philosoph Philo war, wesentlich die neuplatonische Philosophie hervorging. In Judäa ist man zwar niemals so weit gegangen, weil man dort dem biblischen Schriftthum in dem natürlichen Wortsinn näher stand, aber auch dort zeigte sich das Bedürfniss, dem Schriftwort einte homiletische (ethische) Bedeutung zu verleihen, ln der volkstümlichen Schriftauslegung musste man im Geschmack jener Zeit stets auf „die Moral von der Geschichte“ hinweisen, Das biblische Wort sollte nicht- nur erklärt, sondern auch homiletisch gedeutet werden. Viele Proben dieser auf palästinensischem Boden entstandenen Agada finden wir auch in den evangelischen Büchern, und der Apostel Paulus war einer der geschickt testen Agadisten. Seitdem die christlichen Lehrer die agadische Schriftauslegung zur Verbreitung des Christenthums unter den Juden benutzten, mussten sich auch die jüdischen Lehrer mit der Agada eifrig beschäftigen. Hat doch einst selbst ein berühmter Lehrer in Israel zugeben müssen, dass ihm die homiletische Erklärung eines Bibel- verses, die er von einem Christen gehört, ausserordentlich gefallen habe. Sollte somit der christlichen Propaganda nicht das Feld gänzlich überlassen werden, so mussten sich die jüdischen