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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
Entstehung
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Lehrer ebenfalls eingehend mit der Homiletik befassen.

Unter solchen Umständen entstand nun die palästinensische Agäda, die bald herrliche Blüthen trieb. Ernest Renan findet nicht genug Worte, die Agada zu verherrlichen, während die Hälacha nach seiner Auffassung das Produkt der phari­säischen Engherzigkeit wäre. Die Agada sei die helleuchtende Sonne, die süssduftende Blume, die himmlische Musik, während die Halacha die stern­lose Nacht, eine giftige Schmarotzerpflanze, ein schriller, die Harmonie störende Ton wäre. Es sind dies glänzende Phrasen des französischen Forschers, die keinen wissenschaftlichen Werth beanspruchen können. Die Halacha ist die ju­ristische und theologische Kasuistik, während die Agada die Poesie ist. Man könnte ebenso gut sagen: Das bürgerliche Gesetzbuch sei der Geist der Finsterniss, das Produkt des juristischen Aber­witzes, ermüdeiid und geistestödtend, während GöthesFaust herrliche Poesie, die Wonne der Menschheit sei. Für den Forscher ist es klar, dass ein Gesetzbuch bei aller Trockenheit und juristischer Strenge die gesellschaftliche Moral und die allgemein menschliche Ethik im höchsten Grad umfassen und verkörpern kann. Im Kultur­leben eines Volkes spielt vielleicht das Gesetzbuch eine viel bedeutendere Rolle als die erhabenste Poesie. Will man daher ein Urtheil über die Mischna, die Sammlung der Halachoth, fällen, so muss man sich mit deren Einzelnheiten befassen, ihre sociale und kulturelle Bedeutung prüfen, die ethische und socialpolitische Grundlage kennen, auf der sie aufgebaut ist. Dies hier zu erörtern, ist nicht unsere Aufgabe, aber es muss gesagt