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begann. Von den Zeitumständen begünstigt, 'blühten die Lehrhäuser in diesem Lande, sie wurden später die Pflanzstätten der talmudischen Haarspalterei, die bis auf den heutigen Tag die Bewunderung der Kenner erregt. Vor der Dialektik der babylonischen Lehrer war nichts sicher; sie konnten aus weiss schwarz und aus schwarz weiss machen. „Die Subtilitäten Rab’s und Samuel’s“ wurden sprichwörtlich.
Die babylonischen Lehrhäuser standen zu dem noch immer als geistiger Mittelpunkt der Judenheit geltenden Lehrhaus in Tiberias in enger Beziehung, da letzteres längere Zeit eine gewisse Superiorität behauptete. Lernbegierige Jünger aus Babylonien gingen daher nach Palästina. Dem dortigen Lehrhaus stand der bereits genannte R. Jochanan vor. Er war einer der jüngern Schüler des Patriarchen R. Juda I., einige Jahre nach dessen Tod wurde er Schuloberhaupt in Tiberias. R. Jochanan war eine eigenthümliche Persönlichkeit. Von ungewöhnlicher Schönheit, die aber eher etwas Weibliches an sich hatte, aber auch von weiblicher Reizbarkeit, besass er viele gute Eigenschaften, und vor allem war er für die Lehre und die Wahrheit begeistert. Seine Lebensumstände waren nicht die besten; er war auf die Unterstützung seitens des Patriarchenhauses angewiesen, dem gegenüber er nichtsdestoweniger seine volle Unabhängigkeit wahrte. Er scheute sich nicht, auch seinen Wohlthätern gelegentlich die volle Wahrheit zu sagen. Seine Reizbarkeit wurde aber in dieser Familie mit Geduld ertragen, weil man seinen lautern Charakter und sein kindlich-naives Gemüth kannte. Es widerfuhr ihm das herbe Leid, seine zehn Söhne durch einen frühzeitigen Tod
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