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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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überraschend, niemals schleppend oder langweilig. In der That gleicht der Talmud auch dem par­lamentarischen Bericht in politisch bewegter Zeit. Die Debatte lässt Geistesfunken sprühen, und wenn auch hin und wieder in der Hitze des Gefechts- manches unpassende Wort entschlüpft, so muss man dabei in Betracht ziehen, dass der Redner nicht die schriftliche Fixirung seiner Rede und seiner Aeusserungen beabsichtigt und an eine solche gewiss auch gar nicht gedacht hat.

In der ersten Zeit stand das palästinensische Lehrhaus hoch in Ansehen, und jeder babylonische Lehrer, der nach Höherem strebte, hielt es für ge­boten, sich für einige Zeit nach Palästina zu be­geben. R. Jochanan selbst war auf die babylonischen Talmudjünger nicht gut zu sprechen. Ihre Spitz­findigkeit und Disputirlust, sowie auch ihre Schlag­fertigkeit und Rücksichtslosigkeit in der Debatte waren ihm im höchsten Grade unsympathisch, ln seiner derben Sprache bediente er sich mancher wegwerfender Bezeichnung der babylonischen Talmudlehrer.Den Babyloniern, und insbeson­dere den Nahardeanern, soll man überhaupt nichts lehren; sie sind unwissend und plump. EinNest von Bösewichtern nannte er einst die scharfsinnigen Talmudjünger, die das Oberste zum Untern und das Unterste zum Obern kehrn konnten. Nichtsdestoweniger hatte er in der Tiefe seines Herzens grossen Respekt vor der gewandten Dialektik der Babylonier und er konnte nicht umhin, seinen Jüngern einst zuzurufen: Ihr meint wohl, die Lehre sei euer, nein, sie ist ihrer (der Babylonier). Man pflegte in jenen Tagen sagen, ein Talmudlehrer aus Palästina bedeute so viel wie zwei aus Babylonien; ein Babylonier jedoch.