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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
Entstehung
Seite
38
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dem nicht eingeweihten Leser eine Vorstellung von der talmudischen Dialektik zu geben.

Im TraktatGittin (über Ehescheidungen) heisst es (im 7. Abschnitt): Wurde Jemand ge­fragt: Sollen wir deinem Weibe den Scheide­brief schreiben, worauf der Mann geantwortet hat: schreibt!; hat nun das Gericht den Scheide­brief schreiben und von Zeugen anfertigen und ihn durch den Mann der Frau einhändigen lassen nichtsdestoweniger ist die Scheidung ungültig: denn der Mann muss selber dem Schreiber den Auftrag gehen, den Scheidebrief zu schreiben, und den Zeugen, ihn zu unterfertigen. Für jeden Unbefangenen ist hier alles klar und widerspruchs­los. Im Talmud (f. 71b) wird aber doch ein Widerspruch zwischen Anfangs- und Schlusssatz gefunden, indem wie folgt deducirt wird: Es heisst, dass obwohl der Scheidebrief geschrieben und von den Zeugen unterfertigt worden, sei der Scheidebrief ungültig warum denn? Doch wohl nur deshalb, weil der Ehegatte den Scheide­brief schreiben liess, aber nicht klar aussprach, dass er der Frau eingehändigt werden sollte,, (dabei hat er ihn ja selbst der Frau eingehändigt!).. Nun, dem widerspricht der Schlusssatz, indem es da heisst, dass der Mann nicht nur den Auftrag ertheilen müsse, den Scheidebiief zu schreiben, sondern auch, ihn von den Zeugen zu unter­fertigen ; mithin ist nicht nöthig, dass er auch aus­drücklich die Anordnung treffe, den Scheidebrief der Frau einzuhändigen?! Dieser scheinbare Widerspruch wird im Talmud zuerst dadurch, gelöst, dass angenommen wird, der Anfangssatz und der Schlusssatz gäben die Lehrmeinungen von verschiedenen Tanaiten wieder (der Anfang