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schwelgt in den süssen Erinnerungen der Vergangenheit, als Israel sich noch der Gnade Gottes erfreute, und giebt sich ebenso vertrauend den Verheissungen der Zukunft hin. Und was will in einer solchen Stimmung die Gegenwart mit all ihren Widerwärtigkeiten bedeuten? Ein böser Traum, den man von sich abschüttelt; man spottet somit des Peinigers und seiner Grausamkeit. Das Verhältniss Israels zu seinem Gott, von Ur- beginn seiner geschichtlichen Wahl bis in die Ewigkeit, ist ein Thema, das in der Agada tausendfältig variirt. Es ist erstaunlich, wie die Agadisten dieser einen Betrachtung immer neue Gesichtspunkte abzugewinnen verstehen, und erklärlich wird uns dies nur dadurch, dass wir bei ihnen ein grosses dichterisches Talent, das in der Ge- sammtheit zum Volksgenie wird, finden und bewundern. Die innere Lebenskraft Israels war selbst unter harten Leiden und unendlichen Verfolgungen nicht gebrochen, sein Genius, lebte ungeschwächt fort und offenbarte sich in dieser Litteratur, in der sich alle Vorzüge der biblischen Bücher vereinigen. Die Agada ist religiös wie die Psalmen, reich an sinnigen Sprüchen und treffenden Bemerkungen über alle Vorgänge des Lebens wie die biblischen Sprüche (in den Psalmen, in den salomonischen Sprüchen und in Koheleth); sie ist gleichzeitig episch und lyrisch — und vor allem volksthümlich. Die Sprache ist edel, einfach, kernig, oft epigrammatisch zugespitzt, mit volks- thümlichen Redewendungen durchmischt, zuweilen hochpoetisch, zuweilen wiederum köstlich naiv und zu Herzen gehend.
Eine besondere Eigenthümlichkeit der Agada besteht darin, dass durch sie das Schriftwort Be-