50
vom Christenthum geredet hätten; bei der feindseligen Haltung, die die Tochterreligion fast von Anbeginn an gegen die Mutterreligion angenommen, wäre solches auch nicht zu erwarten. Indess ist es eine arge Uebertreibung, wenn das ganze Mittel- alter hindurch bis auf die neuste Zeit stets behauptet wurde, der Talmud lästere das Christenthum und dessen Stifter, oder lehre besondere Feindseligkeit gegen die Bekenner dieses Glaubens. Vom Stifter des Christenthums ist äusserst selten die Rede, und zwar niemals in besonders gehässigem Ton. Hingegen wird wohl hin und wieder gegen die christliche Lehre und ihre Dogmen polemisirt, zumal in der palästinensischen Agada, aber im Grossen und Ganzen innerhalb der bei solchen Streitsachen üblichen Grenzen. Lieblos wird im Talmud und der ihm verwandten Litteratur überhaupt ,nur von solchen Andersgläubigen gesprochen, die Israel verfolgten; hingegen wird da gelehrt, dass „alle frommen Heiden des ewigen Lebens theilhaftig werden,“ und „ein Heide, der sich mit dem Studium der Lehre beschäftigt, sei dem Hohepriester gleich zu achten.“ „Wohl kommen uns die Heiden nicht mit einem freundlichen Gruss entgegen, aber wir rufen ihnen nichtsdestoweniger zu: 'Gottes Segen über euch!'“ Die Auseinandersetzungen der Agada gegen die andere Culten und auch gegen das Christenthum haben lediglich den Zweck, die Juden im Glauben ihrer Väter zu bestärken und dem Gedanken entgegen zu treten, als wäre das Christenthum das wahre Judenthum, wie von christlicher Seite behauptet wurde. Will man der Sache auf den Grund gehen, so wird man zu der Erkenntniss gelangen, dass es sich wesentlich um einen historischen Prozess