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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
Entstehung
Seite
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aus Babylonien, R. Chijja b. Abba (nicht zu verwechseln mit dem bereits erwähnten R. Chijja, dem Zeitgenossen des Patriarchen R. Juda I., der ebenfalls ein Babylonier war), wurde einst in Tiberias, wohin er im reiferen Alter gekommen war und als einer der bedeutendsten Jünger R. Jo- chanans grosses Ansehen genoss, gefragt, wie es komme, dass es im Text des Dekalogs im 2. B, M. 20,12 heisst: Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebest auf dem Boden u. s. w während es im Text des Deuterononiums (5,16) heisst: Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebest und es dir gut ergehe auf dem Boden u. s. w. Er antwortete geringschätzig: Du fragst mich, warum im zweiten Dekalog die Worteund es dir gut ergehe Vorkommen, ich weiss aber gar nicht, ob sie überhaupt da sind (Traktat B. kama f. 55a). Ein Anderer gestand offen ein, er habe die ge- sammte mündliche Lehre durchgenommen, ohne den einfachen Wortsinn der biblischen Schriften zu kennen. Das biblische Schriftthum war für die Babylonier nur dazu da, um es künstlich zu deuten oder daran agadische Sprüche zu knüpfen, von denen der berühmte Exeget und Grammatiker Abraham Ibn-Esra (lebte 10921167) zu sagen pflegte, dass siesackgrob seien, wäh­rend er die andere Agada alszart wie Seide bezeichnete.

Die babylonische Agada enthält auch viel Aberglauben, ihre geschichtlichen Reminiscenzen sind voller Anachronismen, oft ergingen sich die babylonischen Lehrer in unpassenden Scherzen, ihre homiletischen Betrachtungen sind anthropomor- phistisch, zuweilen sogar noch schlimmer, die Ausdrucksweise manches mal geschmacklos und