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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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jedes feinere Gefühl verletzend. Alle diese Be­standteile der Agada sind bekannt genug, da sie von übelwollender Seite zusammengestellt und als Proben des Talmuds und der Agada bezeichnet wurden. Ohne uns in eine Apologie diesersack­groben Agada zu versuchen, halten wir es im Interesse der wissenschaftlichen Wahrheit für ge­boten ausdrücklich hervorzuheben, dass jene Aus­sprüche weder der Talmud noch die Agada sind. Diese herrliche Geistesblüthe, die Agada, verdiente wahrlich nicht verunglimpft zu werden, da sie zu dem babylonischen Unsinn in demselben Ver- hältniss steht, wie etwa GöthesFaust zu dem erstbesten Schwank eines Vorstadtstheaters. In jüdischen Kreisen wurde oft angeregt, diese Be­standteile der Agada aus dem Talmud zu ent­fernen. Man unterliess es jedoch mit Recht, da an einem alten Kulturbild aus Rücksicht auf die historische Treue nichts geändert werden soll.

Der Talmud wurde von der einen Seite ange­feindet, die Agada jedoch von allen Seiten verkannt, am meisten leider von den Juden selbst. Damit hatte es seine eigne Bewandtniss. Im Mittelalter, das für die Juden erst gegen das vierzehnte Jahr­hundert begann, aber bis spät in das achtzehnte Jahrhundert dauerte, überwog bei den Juden die Verstandsthätigkeit das Gemüthsleben. Die traurigen Zeiten der blutigen Verfolgungen waren wahrlich nicht danach angethan, die Poesie unter den Juden gedeihen zu lassen. Der Talmud wurde eifrig durchforscht, kommentirt und in Kompendien der ganzen Judenheit zugänglich gemacht. Hingegen wurde die Agada von den Gelehrten vernachlässigt und blos demunge­lehrten Volk, das sich in dem talmudischen