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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
Entstehung
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Labyrinth nicht zurechtfinden konnte, überlassen. In den echten Talmudschulen wurde weder die Bibel gelesen noch die Agada beachtet. Kam man beim eifrigen Talmudstudium an eine aga- dischen Stelle denn der dialektische Vortrag ist häufig durch agadisch-homiletische Stücke un­terbrochen so überschlug man diese als für den tüchtigen Talmudforscher lappalienhaft. Man hat später die agadischen Bestandteile desTalmuds ausgezogen und veröffentlicht. Mit diesem Buch (En-Jacob genannt) beschäftigte sich dasge­wöhnliche Volk, ebenso wie mit den herrlichen Midraschim (der Agada-Sammlungen, die in Pa­lästina angelegt worden sind).

Ein wahres Verhängniss waltete auch sonst über die Agada. Im Mittelalter pflegten Juden­feinde aus ihr Waffen gegen die Judenheit zu schmieden, entweder dadurch, dass man einige Aussprüche als angebliche Zeugnisse für die Messianität Christi hinstellte und in den berühmt gewordenen Religionsdisputationen gegen das Ju­denthum ins Feld führte, oder man griff die bereits oben bezeichnetensackgroben Bestand­teile der babylonischen Agada auf. um die mündliche Lehre recht lächerlich zu machen, oder gar als gotteslästerlich und menschenfeindlich hinzustellen. Kritischer Sinn war damals weder bei Juden noch bei Christen zu finden, nicht einmal volle Unbefangenheit. Der bekannte Lehrer Nachmanides (nebenbei bemerkt, einer der Haupt- begründer der Kabbala) sah sich in einer solchen Disputation zu der Aeusserung genötigt: Wir erkennen nur die Halacha an, nicht aber die Agada. Im gewissen Sinne ist dieser Ausspruch auch berechtigt, weil die Agada nicht als prak-