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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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denen allein wir die allgemein verbreitete Kenntniss der heiligen Schrift unter den Juden verdanken. Es dürfte wohl als bekannt vorausgesetzt werden, dass die hebräische Sprache ursprünglich nur für Konsonanten Zeichen hatte, während die Vokale blos traditionell bekannt waren, d. h. man wusste, wie die Konsonanten zu lesen sind, ohne dass für die Vokale besondere Zeichen vorhanden gewesen wären. Das hebräische Wort hat einegrosse Flexionsfähigkeit, eine kleine Aenderung in der Aussprache giebt den Stamm eine andere Be­deutung. Ein und dasselbe Wort ohne Vokale kann verschiedenartig gelesen und verstanden werden. Natürlich musste dies zu vielen Missver­ständnissen führen, und bereits in jener Zeit, als das Hebräische noch Volkssprache war, empfand man diesen Missstand, weshalb man die Vo­kale (die sogenannteLesemütter) zwischen die Konsonanten zu setzen begann (wogegen im Althebräischen dieseLesemütter fehlen). Diese neue Orthographie wurde jedoch nicht in aus­reichendem Masse vervollkommnet, und ausserdem gelang es ihr nicht, überall durchzudringen. Das biblische Schriftthum ist daher sehr ungleich - mässig in der Schreibweise; die vokalisirte (plena) Schreibweise wechselt bunt mit der unvokalisirten (defectiva)ab. Wie gesagt, ist die neue Orthographie an sich bei weitem nicht ausreichend.

Später, als die hebräische Sprache aufgehört hatte, Volkssprache zu sein, wurde deren Erler­nung noch schwerer, insbesondere war man beim Lesen der Eigennamen sehr übel daran, da in diesem Fall das sonstige Auskunftsmittel, die Wortbedeutung aus dem Zusamihenhang zu er- rathen, versagen musste. In Palästina, wo die