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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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Babylonien etwa fünfzig Jahre später im Zeitalter der Dioskuren Abajje und Rabba erlangt. Der halachische Stoff wurde nun wie ein weicher Teig geknetet und die Sophistik war das tägliche Brod der Talmudjünger geworden. Nicht das praktische Resultat der scharfsinnigen Dialektik war das Ziel der Diskussion, sondern diese war Selbstzweck ge­worden; man disputirte um zu disputiren und ver­arbeitete in dieser Methode auch solche Halachoth, die bereits ausser Kurs gesetzt waren, z. B. die über die Opfer, die schon längst aufgehört hatten. In Palästina hörte um jene Zeit das Halachastu- dium fast gänzlich auf. Eine Generation später verlor die palästinensische Judenheit den letzten Rest ihrer Autorität. Bis etwa in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts war das jüdische Volk in seiner Zerstreuung noch immer von dem Pa­triarchenhaus in Palästina einigermassen abhängig, denn nur da durften die Festtage festgesetzt wer­den. Der Patriarch Hillel II., der Zeitgenosse Juüans des Apostaten, fand es in jenen Tagen dringend gerathen, einen festen Kalender für die jüdischen Feiertage zu erlassen, und seitdem machte sich die babylonische Judenheit gänzlich von der Autorität der Palästinenser los. Die Hochschulen in Babylonien, die zu Sura und Pumbeditha, bildeten nunmehr den geistigen Mittelpunkt der Judenheit.

Das Talmudstudium nahm dort seinen weiteren Gang in der bereits gekennzeichneten Richtung, d. h. einseitig und im gewissen Sinne auch höchst monoton. Der Verstand fand seine Nahrung voll­auf, das Gemüth dagegen gar nicht. Die politische und wirthschaftliche Stellung der Juden in Ba­bylonien war im Ganzen erfreulich, aber die Um­gebung war nicht danach, auf die geistige Ent-