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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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irreligiös gewesen, was wohl in Wahrheit heissen mag, er hat aus seiner talinudfeindlichen Gesinnung kein Hehl gemacht. Die Schuloberhäupter, die, wie es scheint, bei der Berufung in die Exilar- chatwürde etwas mitzureden hatten, erklärten nun, dass Anan nicht würdig sei, der Nachfolger seines Oheims zu werden. Es ist auch nicht unmöglich, dass der jüngere Bruder Anans, Chananja, sich mit den Vorstehern der Akademien in Verbindung gesetzt hat, um Anan von der Nachfolge zu verdrängen. Jedenfalls wurde die Spaltung offenkundig. Anan stellte sich an die Spitze der Unzufriedenen und gründete die Sekte der Karäer (oder Karaiten), d. h. jener Juden, welche die mündliche Lehre verwarfen und sich an die heilige Schrift in ihrem klaren Wortsinn hielten.

Als einen Fortschritt darf man dies nicht erklären. Es muss stets in Betracht gezogen werden, dass der Talmud noch immer mit der Zeit gleichen Schritt gehalten und den verän­derten Verhältnissen Rechnung getragen hat. Das Zurückgehen auf das schriftliche Wort war somit eine Reaktion, die um so drückender sich bemerkbar machte, als der Karaismus mit der schriftlichen Lehre doch nicht fertig werden konnte und auch seinerseits zu einer Art halachischer Fortbildung greifen musste. Im Grunde genommen war der karaitische Talmud (denn das war tbatsächlich die Erweiterung des Gesetzes in seinem Sinne) von den rabbinischen nicht allzufern, nur dass er in den meisten Fällen erschwerend ausfiel und blos in sehr wenigen erleichternd ist. Die Sabbatheiligung wurde ins maasslose gesteigert, noch mehr aber das Verbot