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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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ihren Angriffspunkt wechselten. Bald versuchten sie den Talmud und den Rabbinismus lächerlich zu machen, und bald wiederum forderten sie im Namen des wahren Mosaismus die Rückkehr zur heiligen Schrift. Den babylonischen Hochschulen, die sie mit Anspielung auf Zacharia (5, 810) diebeiden Weiber nannten*), warfen sie Hochmuth, Unwissenheit, anthropomorphistische Vorstellung von der Gottheit, Aberglauben und der­gleichen vor. Mit dieser Propaganda hatten die karaitischen Schriftsteller nicht wenig Erfolg.

Von einer wirksamen Bekämpfung der anti- talmudischen Bewegung konnte in Babylonien keine Rede sein. Die Leute waren dort zu bornirt, um einer solchen Bewegung mit anderer Waffe als mit der des Bannes und der Verfolgungen entgegentreten zu können. Es wäre deshalb höchst wahrscheinlich um das talmudische Judenthum und in Wahrheit auch um das Judenthum über­haupt geschehen, wenn nicht in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts von Egypten aus ein kräftiger Gegenstoss erfolgt wäre.

Wir haben bereits hervorgehoben, dass der

*) Diese Anspielung findet sich bei mehreren karaitischen Schriftstellern (vgl. auch bei PinskerLikute Kadmonijot Beilagen S. 31). Sie ist sehr witzreich, indem der Prophet dort berichtet, er habe in einer Vision ein Weib (die Bos­heit) in einem Scheffel (in einer Efä) sitzen gesehen, in dem sich gleichzeitig ein schwerer Klumpen Blei befand. Dieser Scheffel wurde von zwei in der Luft schwebenden Weibern getragen. Auf die Frage des Propheten: wohin die Weiber mit dem Scheffel und dessen Inhalt wollten? erhielt er die Antwort: sie wollen ihr (der Bosheit) ein Haus bauen im Lande Schinear (d. h. Babylonien), wo sie festen Wohn­sitz erlangen würde. Die beiden Weiber wären nun nach jener boshaften Anspielung die babylonischen Hochschulen, die der Bosheit einen festen Wohnsitz errichtet hätten.

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