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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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Abschnitten, Kapiteln und Paragraphen geordnet, bindend und verpflichtend. Sich gegen einzelne Paragraphen aufzulehnen, erschiene schon deshalb unmöglich, weil Maimonides alle Debatten, die ganze talmudische Diskussion, weggelassen hat. Man weiss nicht einmal, wer dies oder jenes angeordnet hat, oder auf welche Motive hin dies oder jenes in das Judenthum aufgenommen worden ist. In gerader Linie, mit einer staunenerregenden Konsequenz reiht sich Gebot an Gebot, Lehrsatz an Lehrsatz, Entscheidung an Entscheidung. Die Architektonik des Buches ist mustergiltig und dessen Logik bezwingend. Wer die Prämisse anerkennt, muss sich auch zu der Schlussfolgerung bekennen. Nur zwischen biblischen und nach­biblischen Geboten wird ein leiser Unterschied gemacht, aber die Brücke von den erstem zu den letztem muss beschriften werden; das talmudische Judenthum wird als nothwendige Schlussfolgerung aus dem biblischen deducirt. Maimonides besass nämlich bei allen sonstigen Vorzügen und Eigenschaften wenig historisch-kritischen Sinn. Das Judenthum im talmudisch-rabbinischen Sinne betrachtete er als etwas Feststehendes und Gegebenes, jedes Einzelne musste daher in ein Schubfach gethan werden. Selbst der in der Praxis nicht mehr geltende Theil, wie die Vor­schriften über Opfer und Gaben an die Priester, ferner die Tempelordnung, die jüdische Staats­verfassung u. s. w., ist mit in die Sammlung auf genommen worden. Das erste Buch,über Er­kenntnis, ist der Ethik des Judenthums gewidmet, und da sie nach der Auffassung jener Zeit ziemlich freisinnig ausfiel, so erregte sie bei den meisten Juden heftigen Widerspruch, sie hat zu der

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