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Seitdem ist der Talmud öfters auch in Russland gedruckt worden, und zwar in verschiedenen Formaten, vom Riesenfolio (in Wilna) bis zum gewöhnlichen Oktav (in Warschau); die in den meisten Drucken in Folge der Censurvorschriften ausgelassenen Stellen sind auch verschiedentlich in einem besondern Buch gesammelt.
Der Talmud hat seit jeher viele Anfeindungen von Seiten der Christen gefunden; oft waren es jüdische Ueberläufer, die aus Hass gegen ihre früheren Glaubensgenossen die geistlichen und weltlichen Behörden gegen die Juden und ihr religiöses Schriftthum anriefen. Und da die Bibel auch bei den Christen in hohem Ansehem steht, so richtete sich die ganze Wuth der racheschnaubenden Denuncianten gegen den Talmud. In den Jahren 1506—1510 tobte in Deutschland der Kampf um den Talmud zwischen dessen Ankläger, dem jüdischen Täufling Pfefferkorn, einem Mann von grosser Unwissenheit und noch grösserer Gewissenlosigkeit, und dem kenntnisreichen christlichen Gelehrten Reuchlin, der lediglich aus wissenschaftlichem Interesse und aus Liebe zur Wahrheit für den Talmud eintrat, denn sonst war auch er von Vorurtheilen gegen die Juden und deren Glauben nicht frei. Man hat mit Recht diesen Reuchlin-Pfefferkorn’schen Streit, bei dem die Kölner Dominikaner eine unrühmliche Rolle gespielt haben, als den Vorläufer für die gleich darauf eingetretene Reformationsbewegung bezeichnet. Pfefferkorn war es zwar gelungen, von dem durch seine bigotte Gemahlin beeinflussten Kaiser Maximilian I. ein Mandat zur Konfiskation der „Judenbücher* zu erlangen. In manchen Gemeinden, namentlich in Frankfurt a. M., konnte