auch wieder in das Eckzimmer mit dem Blick die Französische Straße hinunter, wo die Vergangenheit webte und es „nach Staub und welken Blumen roch, wie ein altes Buch, das man aufschlägt". Aber nicht mehr abends nach dem Schauspiel, wie zu Rahels Zeiten, fand man sich ein, auch nicht so regelmäßig, sondern nachmittags zu den angesagten Kränzchen.. Dann wurde auch Varnhagen sichtbar, in seiner lächelnden Vornehmheit die Inkarnation der auf die feinste Geistigkeit gestimmten alten Zeit...
Unter den vielen, die an solchen Tagen die alte, später durch eine in den schwerfälligen Formen der deutschen Renaissance ersetzte Treppe Hinaufstiegen, weit über Lassalle, Adolf Stahr, Vehse und Ring hinaus, nimmt ein Schweizer unsere Teilnahme in Anspruch, der damals in Berlin „im ästhetisch erweckten" das harte und für ihn noch dazu karge Brot der Fremde aß. Durch den Heidelberger Verleger hatte Varnhagen die ersten 1846 erschienenen Gedichte Gottfried Kellers ohne Wissen des Autors erhalten, und ein anerkennendes Schreiben überraschte eines Tages den jungen Poeten. Daraufhin sandte ihm Keller auch seine 1851 bei Vieweg verlegten „Neueren Gedichte". Eine Einladung des seit 1850 in Berlin Weilenden erfolgte, wurde angenommen, aber erst 1854 kam es zu näherem Verkehr. Wenn Keller einst vor Freiligrath gespöttelt hatte: „werde nun aber doch den Harnwagen von Ense" - so schnell war ihm Berliner Wortwitzelei ins spröde Schweizer Geblüt geschlagen! — „aufsuchen und mich bescheiden hinten aufsetzen," so fühlte er sich, nachdem er dort Fuß gefaßt, ohne Spott wohl und angeregt, besonders seit Ludmilla sich „höllisch" für ihn erklärt hatte. Auch an Rahel erhielt er ein Andenken, ihr Exemplar des „Cherubinischen Wanders-Mannes" von Angelus Silesius in der Münchener Ausgabe von 1827, ein Buch, das „ihr fast immer zur Hand gewesen" war. Man weiß, wie die „geistreichen Sinn- und Schlußreime" des vehementen Gottesschauers im Grünen Heinrich und in den Sieben Legenden nachgeklungen haben.
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