Ungebrochen schritt Varnhagen über die Schwelle des Patriarchen- alters, ein Repräsentant jener nun schon altmodisch gewordenen feinen Liebenswürdigkeit, wodurch, jeder in seiner besonderen Art, neben ihm auch Fürst Pückler und General von Pfuel „vor allen jüngeren Herren" glänzten. Die alte Garde schlug noch immer siegreich den draufgängerischen Nach- wuchs.
Er starb 1858 den 10. Oktober und fand seine Ruhestatt neben Rahel auf dem Dreifaltigkeitskirchhof vor dem Halleschen Tor. Dicht sind die schlichten Hügel mit Epheu übersponnen; auf den abgeschrägten Marmorsteinen, die zu ihren Häupten liegen, ist das Gold der eingehauenen Namen und Daten längst verblichen. Bescheidener kann niemand sein letztes Haus Herrichten, als hier geschehen.
Der literarisch-ästhetischen Epoche folgt ein Epilog, der effektvoll im Lichte der großen militärischen Repräsentation erstrahlt.
Nachdem das Haus im Innern manche Umwandlung im Ungeschmack der Gründerjahre erfahren hatte und zwischen Hof und Garten ein schwerfällig wirkendes Stallgebäude mit freiem mittleren Durchgang erbaut worden war, zogen in die nunmehr auch „schloßartig" ausgestatteten Räume der Beletage die Kommandierenden des III. Armeekorps.
In der Mitte der achtziger Jahre wurde dem Grundstück das schmale Nebenhaus Nr. 35 angegliedert. Kyllmann und Heyden ähnelten seine Zweifensterfront dem alten Nachbar an, doch so, daß man namentlich in Dach und Obergeschoß den modernen „besseren" Geschmack wahrnahm, der das alte Vorbild schulmeistern möchte. Diese Front verkleidete indessen nur die eine Schmalseite eines allerliebsten Landhauses in den zierlichen Formen französischer Schlößchen, das mit Terrasse auf den Garten gerichtet war und hier, fern vom Geräusch und der Prosa der Straße, ein Rokokoidyll vortäuschte. Mit einem Schlage glaubte man sich in eine andere Welt versetzt: ein Springbrunnen stieg mit dünnem Strahlenwurf
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