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Häuser und Menschen im alten Berlin / von Hans Mackowsky
Entstehung
Seite
205
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In der Regel sind die Studienplätze nicht weit von dem jeweiligen Heim des Künstlers gelegen gewesen. Am liebsten nahm er, wie die alten Hollän­der, auf die er gelegentlich auch hingewiesen hat, seine allernächste Umgebung aufs Korn. Er war so ganz Städter, daß ihn der Drang ins Freie nie überkam. Seine Reisen hat mehr der Zufall, der Erholungszweck, ein allgemeines Bedürfnis nach Wissen und Bildung bestimmt. Für die Arbeit bot die nächste Umgebung ihm Stoff genug. Der Tempelhofer Berg und die Berlin-Potsdamer Eisenbahn, der Palaisgarten des Prinzen Albrecht, der Schafgraben, das alles lag im Bereich seines Wohnviertels, als er in der Schöneberger Straße hauste. DerMondschein über der Friedrichsgracht" führt aus dem westlichen in den südlichen Teil der Stadt, in den weiteren Umkreis der Ritterstraße, wo Menzel von Mitte März 1847 bis Ende 1860 sein Quartier aufgeschlagen hatte.

Die Stelle gehört zu den wenigen, in denen das Malerische der alten Fischerstadt noch sich ahnen läßt. Dies Kölln, die Schwesterstadt Berlins, ist eine in Form eines langen Keils hingestreckte Insel, deren nördlicher spitzer Teil Schloß, Dom und die Museumsbauten trägt, während der südlichere reicher von Straßen und Gassen durchschnitten ist, in deren Namen noch Alter und Geschichte dieses Stadtwesens fortklingen. Gleich hinter der Waisenbrücke teilt sich der Fluß, um in einem breiteren rechten Arm unter dem Mühlendamm und der Kurfürstenbrücke die Insel zu umfließen, während eine schwächere, in starkem Bogen gekrümmte Abschweifung durch eine Reihe kleinerer Brücken den Lauf die Friedrichsgracht entlang nimmt. Von einer dieser Brücken hat Menzel das malerisch verworrene Stadtbild im Zauber einer halb verhangenen Mondnacht ausgenommen.

Hoch, wie er in den Herbstnächten zu stehen pflegt, ist der Mond am Himmel aufgezogen, und unter ihm treibt im Winde Gewölk, das un­körperhaft wie nasse mattdurchleuchtete Schleier in bläulichem Schimmer vorüberzieht. Für einen Augenblick bricht der ferne Glanz der vollen Scheibe durch das Gewebe und legt ein breites Licht unten über den Wasserlauf.

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