Heft 
(1956) 8
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nicht nur den Bürgern und Bauern gegenüber, sondern auch gegen den Junker von Höllendorf, der seinen Deichbauverpflichtungen nicht nach­kam. Selbst die kurfürstlichen Räte undCommissarii, die sich infolge Beschwerden gegen den Amtmann nach Lenzen bemühen mußten, spürten den Willen und die Energie des ehemaligen Admirals und Gouverneurs. Er bestand unerbittlich auf die Räumung der völlig verwachsenen Gräben, er trieb mit kühnen Ideen und straffer Aufsicht das gewaltige Werk der Deichbauten voran, er versuchte Ordnung in Häuser- und Straßenbauten zu schaffen, er holte Kolonisten herbei, um das fruchtbare Land der Wische wieder blühend zu machen. Ja, er veranlaßte, daß die Frauen zu regel­mäßigen Spinnabenden zusammenkamen. Den Männern brachte er das Tabakrauchen bei, das er aus Holland mitgebracht hatte.

Als er, hoch bei Jahren, sein Ende fühlte, da wollte derReformierte, der auch in Sachen der Religion abwich vom Landesüblichen, nicht in der Pfarrkirche zu Lenzen beigesetzt werden. Vielleicht hatten ihn auch die Lenzener zu sehr geärgert. Seine Liebe galt der Wische, dieser gesegneten Landschaft mit den langgestreckten Dörfern hinter den Deichen, die mit sein Werk waren, sie galt den hier wohnenden Bauern, die immer mit den Elementen um die Existenz ringen mußten, die, freiheitsliebend, einzeln auf ihren Gehöften unter mächtigen Eichen wohnten und die ihre Häuser in alter Niedersachsenart breit und behäbig auf den Boden der neuen Heimat stellten.

So baute man für diesen bedeutenden und merkwürdigen Mann, als er 1676 die Augen schloß, an den mit Pfeilern und Blenden gezierten Ostgiebel der Dorfkirche zu Mödlich ein Grufthaus und setzte ihn, der auch ein umfang­reiches Memoirenwerk hinterlassen hatte, in dem er sein bewegtes Leben schilderte, dort in aller Stille bei. Ein gewichtiger, freistehender Eichensarg nahm seinen Körper auf. Bald leistete ihm seine Tochter in einem eben­solchen Sarg Gesellschaft. Dort ruhte nun im schönsten Bauerndorfe der Prignitz der kraftvolle, schöpferische Mann unmittelbar am Elbdeiche, der die schönste, fortdauerndste Krönung seines Lebenswerkes war.

Es ist nicht verwunderlich, daß sich um eine solch tatkräftige, der hiesigen Bevölkerung in vielem fremdartige Erscheinung, manche Sage rankte. Wenn der Elbstrom Hochwasser führte und den Dörfern hinterm Deiche Gefahr drohte, dann verließ er nachts seine Gruft und schritt als Warner den langen Deich entlang. Zwar sah man ihn nie, aber die Sturmlaterne, die er dann in den dunklen Nächten trug, ging mit ihrem Licht über den Deich dahin, oder das Klirren der Sporen und des Wehrgehenkes klang leise den von Dunkelheit umhüllten Deich entlang, Bewohner seiner Wische warnend: Seid auf der Hut! Das Wasser kommt!

Uber 200 Jahre wachte er so über den Deich. Da beschlossen die Wischer Bauern, ihrem' guten Geist, der so in ihrer Erinnerung und in ihrem Volksglauben fortlebte, die endgültige ewige Ruhe zu geben. Denn immer,

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