HERMANN GIESE
Die Enf Wicklung des Eisenbahnknotenpunktes Wittenberge
Die vorliegende Arbeit stellt einen Auszug aus einem umfangreichen Aufsatz dar. Er beschäftigt sich ausführlich mit den ersten Anfängen und der weiteren Entwicklung des Bahnwesens in Wittenberge. Wir werden weitere Auszüge in den nächsten Nummern folgen lassen.
Wie reiste man von oder nach Wittenberge, als es noch keine Eisenbahn gab?
„Mit der Post“, so könnte die Antwort lauten, aber dennoch ist sie nicht ganz zutreffend. Erst im Jahre 1650 begann man in der Mark mit der Herstellung von Postverbindungen, ohne Beachtung der Privilegien derer von Thurn und Taxis. Im Jahre 1697 verkehrte die erste Schnellpost in Kurbrandenburg.
Anno dazumal war das Reisen keine so einfache Sache. Zeit und Geduld waren erforderlich. Die Unsicherheit auf den Landstraßen war noch nicht beseitigt. Es gab noch Reste des Wegelagerertums aus den Zeiten, in denen das Faustrecht zum guten Ton in der Mark Brandenburg gehörte. In der Kaufmannschaft kannte man noch den alten Spruch: „Aus der Mark kommt niemand unberaubt hinaus, wenn er auch durch ganz Deutschland ungefährdet gereist ist.“ Vielleicht kann man sich aus diesen Worten das seinerzeitige Verschwinden des englischen Diplomaten Lord Bathurst in Perleberg erklären.
Besonders war das Reisen in Norddeutschland verrufen. Ein damaliger, des Reisens in Deutschland kundiger Zeitgenosse schrieb:
„Wer keine Frau hat, folglich die Geduld weniger kennt, reise auf mein Wort nach dem Norden Deutschlands. Der agrarische Charakter, verwahrloste Wege und die Unsicherheit im ostelbischen Gebiet waren wahrscheinlich auch die Ursachen dafür, daß der Postverkehr hier weniger entwickelt war als in Süd- und Mitteldeutschland. Das gebräuchlichste und billigste Verkehrsmittel war die Reise auf Schusters Rappen.
,Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wanderer
nach der lieben Heimathütte.“ (Schiller)
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