Die Freude der Burginsassen sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Der Ritter bereitete einen neuen Angriff vor. Er verstärkte seine Mannen und versuchte, durch befreundete Ritter über die Besetzung der Burg Auskunft zu erhalten. Einigen Kriegsleuten war es durch List gelungen, die schwächsten Stellen der Burg zu erkunden. An einem nebligen Herbstmorgen näherte sich der Feind mit Brettern und Sturmleitern der Burg. Ehe die Verteidiger zum Kampf bereit waren, hatte der Angreifer den Graben überschritten und die Mauern erstiegen. Trotz größter Tapferkeit der Burgmannen, die inzwischen mit ihren Waffen zu den Toren und Mauern geeilt waren, gelang es den Feinden bald, an den schwächsten Stellen Fuß zu fassen. Mehr und mehr Feinde erstiegen die Mauern und sprangen in den Burghof. Ein Tor wurde genommen. Durch das geöffnete Tor stürmten nun die Feinde in hellen Scharen hinein. Alles war verloren. Das Burgfräulein flüchtete mit einigen ihrer Getreuen in den Burgturm und glaubte, dort sicher zu sein. Die Feinde aber zerschlugen die dicke Bohlentür und drangen unter Führung des Ritters mit viel Geschrei in den Turm ein. Es gab keinen Ausweg, keine Rettung! In der höchsten Not verwünschte die stolze Besitzerin ihre Burg: „Du Burg meiner Väter“, so rief sie, „versinke in die Tiefe mit allem, was darin ist!“ Sogleich begann der Turm zu schwanken, man hörte ein Gurgeln, ein Brodeln — und nach kurzer Zeit war die Burg mit Mauer und Toren, mit Freund und Feind in die Tiefe gesunken. Dunkles, mooriges Wasser quoll herauf und bedeckte weithin die Stelle, wo bisher die Burg gestanden hatte. Der „Faule See“ war geboren.
In stillen Sommernächten, wenn Sumpf und Wald im ungewissen Lichte des Mondes wie verzaubert daliegen, hört man hin und wieder seltsame Laute von der Mitte des Sees her. Das klingt wie Saitenspiel, schwermütige Weisen erklingen leise durch die Nacht. Und dann wieder ist es wie ein Klagen, wie ein Seufzen und Stöhnen: die Toten der versunkenen Burg gehen um und beklagen ihr schreckliches Ende.
Ganz anders ist es in dunklen und wilden Sturmnächten. Das heult, das dröhnt und kracht! Man glaubt, Schreie zu hören, die dem einsamen Wanderer durch Mark und Bein gehen. Der Kampf um die Burg scheint aufs neue entbrannt zu sein. Dann, o Wanderer, verweile nicht länger dort! Verlasse eilig diesen unheimlichen Ort! Du könntest sonst in den Kampf hineingezogen werden. Das wäre für dich nicht gut!
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