Heft 
(1916) 1/2
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Paul Quentes Kunst.

Eine neue Völkerwanderung ist über Deutschland hereingebrochen. Aber nicht wie einst als erobernde Heerscharen, die bis in die fernsten Länder vor­stießen, ziehen heute die germanischen Stämme über die Grenze ihrer Heimat. Nein, als Schützer dieser Grenzen stehen sie auf Frankreichs und Belgiens Ge­filden, haben sie ihre Waffen tief in das Russenreich zu tragen, stehen sie an den Toren von Griechenland, an den Pässen von Italien, verbluten sie im Sande der Wüste an den Grenzen von Aegypten und von Persien. Was schaut da das deutsche Auge alles! Biele von unseren tapferen Feldgrauen sind auf-vier oder fünf Kriegsschauplätzen gewesen. Ihre Augen, von Jugend an nur angefüllt von troulichrn Bildern der Heimat, dem bestellten Acker, dem wohnlichen, reinlichen Haus, dem gepflegten Wald, haben sich gewöhnen müssen an den Anblick der trostlosen Ebenen Polens und Wolhyniens, haben Hinauf­staunen lernen an gewaltigen Gebirgskämnien, haben einen höheren, tieferen Himmel über sich erschaut als den heimischen und haben die bunte, vielfarbige Welt des Orients, ihr Völkergewimmel und ihre großartige Einsamkeit kennen gelernt. Wenn sie nun heimkehren, was wird die Heimat ihnen sagen? Wird ihr Auge entwöhnt sein der ruhigen, schlichten Bilder der Heimat? Gewiß, auch Deutschland bietet Bilder großartiger Naturschönheit, Küsten, an denen das Meer donnernd seine Wogen bricht, von mächtigen Strömen durchzogenes Hügelland, Gebirge mit allen Schroffen und aller Großartigkeit der Formen. Für uns in der Prignitz aber, für unsere engere Heimat, in der wir festge­wurzelt sind, aus der die Unseren auszogen, um sie so fern von ihren Grenzen mit ihrem Blut und Leben zu schützen, für die gilt das nicht. Flaches, leicht gewelltes Land, umkränzt von dunklen Wäldern, mit Aeckern, Wiesen und Feldern bestellt, hier und da ein Bach, ein schmales Flüßchen, das sich hin- durchwindet durch das Gelände, und über allem ein Himmel gespannt, der neben dem südlichen bleich erscheint, in dem aber ein unaufhörliches Leben von wandernden, wachsenden, ziehenden Wolken sich dem Leben unten auf der Erde gesellt. Was wird diese schlichte Natur in ihrer ruhigen Eintönigkeit dem Heimkehrenden sagen? Wird sie Macht besitzen, die bunten Bilder von draußen aus seiner Seele zu verdrängen? In dem Germanen steckt ein Wandertrieb. Immer hat die reiche, südliche Natur mit ihrem Ueberfluß an Sonnenglanz, an Farbenpracht, an Formenreichtum ihn hinweggelockt aus dem rauhen, herben Lande, das ihm Heimat ist. Bis doch eine Zeit kam, da er festwuchs an der heimatlichen Scholle, bis eine Wechselwirkung entstand zwischen ihm und dem Boden, auf dem er geboren ward, daß beide zu­sammenwuchsen. Und jetzt? Wohl nie ist eine Zeit gewesen, fähig, das Heimatgefühl so zu stärken und zu vertiefen, wie die heutige. Wohl nie hat der Deutsche sich selbst in seiner von der ganzen Welt unverstandenen, un­erhört geschmähten Eigenart so begriffen, wie heute. Wer von den Männern, die dermaleinst heimkehren werden, wüßte nicht, was Deutschland ihm ge­worden ist. Mit einer Innigkeit, die er vordem nicht gekannt, umfaßt schon jetzt in der Fremde seine Erinnerung jedes trauliche Bild von zu Hause. Ja, auch die Fremde bietet großartige, schöne Bilder, aber keines von ihnen spricht so zu Herzen, wie die des Landes, das unsere Kindheit, unser Werden und Wachsen und unsere Arbeit in der Reife unseres Lebens sah. Mit Augen, die gelernt haben, zu sehen, kehrt der Vielgewanderte heim und siehe, nun begiebt sich ein Wunder. Er sieht Schönheiten, an denen er ehemals stumpf vorüber­ging, altvertraut, und doch neu tritt ihm die Heimat entgegen und er fragt sich verwundert, ob denn früher das tausendfache Kleinleben in Wald und Wiese und Busch nicht so reich gewesen sei, daß es ihn erst jetzt überwältigte, dex Vogelfang nicht so süß, die Wolken nicht so vielgestaltig, die Farben und