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Eine Kiinstkerfaljrt nach Kalö-F lien.
„Sie hat jemand, der sie berät," bevormundete Cohn sogleich seine Schutzbefohlene.
„Nun, dann Glück aus den Weg, Fräulein." Jetzt war er wieder obenauf. Leutselig reichte er der Spröden die beringte Rechte. „Und nachträglich Dank für Ihre Rosen —"
„Da bedanken Sie sich beim Isidor," versetzte sie rasch, ohne seine Hand anzunehmen. „Wenn der nicht meiner Tante gesagt hätte..."
„Gott du Gerechter, was machen Sie für Geschichten!" rief Isidor entsetzt. „Sie fallen ja ganz aus der Rolle!"
„Herr Mecerino soll nicht denken, die Rosen wären von mir." Sie neigte sich flüchtig gegen die Spatz und mich und wandte sich zum Gehen. „Herr Cohn, bitte, auf ein Wort."
Cohn schoß hinter ihr zur Thür hinaus.
„Die weiß, was sie will," lachte Mecerino mit halber Stimme. „Aengstlich soll die sein? sagt Cohn. Den Teufel hat sie im Leibe! Aus so einer wird was!"
Gedankenvoll ging er einige Male im Kreise herum.
VII.
Kaum zehn Minuten waren vergangen, seit Glasphyra und Cohn verschwunden waren, als die Thür zu dem Speisezimmer heftig aufgerissen wurde.
„Ist der Herr Cohn Zu sprechen?"
Mecerino und Spätzchen, die sich gerade wieder katzbalgten, fanden im ersten Schreck nicht gleich Worte zur Auskunft.
„Er ist hinausgegangen," erwiderte ich daher der mittelgroßen, starken Frau, die ins Zimmer getreten lvar, als ob dieser Raum mit allem, was drum und dran hing, ihr gehöre. Ihr Organ war scharf und durchdringend. Die Nase, stark gebogen, ragte schuabelähnlich aus dem Gesicht. Die Mundwinkel lagen gesenkt, wie bei eigensinnigen Menschen, die im häuslichen Aerger Ersatz für ein bewegtes Leben finden. Zwischen den Brauen lagerte die Falte der Mißgunst.
Au der kornblumenblauen Sammettaille, welche ihren Abschluß in einer dicken Halsrüsche aus Spitzen fand, erkannte ich — Frau Goldsteiu. Sie hatte eine so blühende Gesichtsfarbe und atmete so heftig, daß man denken konnte, die Halsrüsche würge sie und sie ränge nach Luft.
,Königin von RempeM hatte Bolle sie genannt. Das siel mir ein, als ich auf ihrem Hut einen kronenartigen Aufputz von Füttern und Jett schillern sah.
„Wo ist der Isidor? — Aus dem Hof?" Sie sah keinen von uns besonders an; sie fragte in die tabaksdunstige Zimmerluft hinein.
„Ich weiß nicht," antwortete ich höflich.
Ob Frau Goldstein denken mochte, daß einer von uns Isidor für sie herbeiholen sollte? Jedenfalls blieb sie, wie eine Dampfpumpe Luft schöpfend, einige Minuten stehen, wo sie stand. Wir blieben ebenfalls stehen, stumm und fröhlich, und labten uns an ihrem gesunden Anblick.
Sie hatte einen nach dem andern von oben bis unten gemustert.
„Ach, Sie find wohl die Künstler?" schnarrte sie.
Als ob sie eine Truppe mit Affentheater anredete.
Mecerino fiel's gar nicht ein, Zu antworten. Vielmehr bekam er einen roten Kopf. Er war an ganz andres Entgegenkommen gewöhnt.
Die Spatz zuckte stumm die Mundwinkel.
„Ganz recht," erwiderte ich gutmütig.
Wieder mußten wir uns einen hochmütig herausfordernden Blick gefallen lassen.
Daun machte sie Kehrt und rief mit einer Stimme, die die Posaunen von Jericho hätte ersetzen können, zur Thür hinaus:
„Herr Cohn! — Herr Cohn, ich will Sie sprechen!"
Es vergingen einige Augenblicke, dann stürzte Cohn herbei und zwar aus der Thür, durch welche Jeremias das Essen hereingetragen hatte.
„Isidor," rief sie ihm mit Zeichen heftiger Aufregung entgegen, „die Glasphyra ist noch nicht zurück!"
„Was Sie sagen, Frau Goldsteiu!"
„Ist sie bei Ihnen?"
„Gott der Gerechte, was wird sie bei mir sein!"
„Haben Sie sie gesehen?"
„Gewiß Hab' ich sie gesehen. Auf 'm Bahnhof Hab' ich sie gesehen mit den Rosen, die Sie ihr haben gegeben —"
Die Goldstein fuhr auf Cohn los und, wahrhaftig, sie streckte ihm ihre Faust entgegen.
„Sie ist weg mit 'm Zug," rief sie mit der Wut der Ueberzeugung, „und Sie haben's gewußt!"
Er bewahrte eine gewisse Haltung.
„Frau Goldstein, was find Sie für e Chammer! Wo wird die Glasphyra wegfahreu mit 'm Zug —"
„Mit 'm Stenscewicz. Gott der Gerechte, ich Hab' keine Ruh, bis der Stenscewicz nicht weg ist! Keinen Augenblick lass' ich sie mehr los!"
„Lassen Sie gut sein und regen Sie sich nicht auf. Die Glasphyra wird fein zu Hause. Gehen Sie nach Hause und sehen Sie nach —"
Dabei schob und trieb er sie halb mit dem Arm, halb durch seine dringlichen Körperbewegungen nach der Thür.
„Nein, ich geh' nicht nach Hause. Ich kann nicht. Ich Hab' keine Ruh'. Ich werde hier warten, bis sie vorüber kommt."
Mir war's, als zucke über sein Gesicht ein leichter Schreck. Indessen faßte er sich sofort.
„'s wird mir 'ne Ehre fein. Bitte, treten Sie näher in die gute Stube. Hier stören Sie die Künstler."
Wir starrten ihnen nach, als sie das Zimmer verließen. Was sollte das? Was bedeutete das?
„So 'n Halunke!" murmelte Mecerino. „Der bläst auf zwei Flöten."
„Ei gar!" staunte die Spatz.
„Bei der Goldstein spielt er den Freund, und der Glasphyra hilft er —"
„Ei, sehen Sie, wie glatt Ihnen der Name über die Lippen fließt."