Weues vom Aüchertisch.
199
auch ebenso zweifellos, daß das Osfiziercorps diesen kleinen Bruchteil seines Ersatzes, den die Söhne des adligen und bürgerlichen Großgrundbesitzes bilden, die damit rechnen müssen, selbst einmal den väterlichen Grundbesitz zu übernehmen, missen könnte, ohne in seiner Qualität Schaden zu leiden. An allen den Mißständen, die die traditionelle, im Aussteigen jäh unterbrochene militärische Carriere für den späteren Grundbesitzer im Gefolge hat, krankt Herr von Kriebow, der Besitzer von Grabenhagen, der im Mittelpunkt des neuen Romans von Wilhelm von Polenz steht. Er krankt noch stärker daran als viele andre Grundbesitzer von gleichem Lebensgange, weil schon sein Vater Großgrundbesitzer, aber kein Landwirt war. Das Gefühl der Verantwortung für seinen Besitz ist ihm verloren gegangen, er hat ihn ganz betrachten gelernt wie etwas, das nur deshalb zu schätzen ist, weil es eine Rente abwirft; eine Rente, die ihm ohne eigne Arbeit in den Schoß fällt, die er in der Residenz in angenehmen dienstlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen verzehrt und die er sogar überschätzt. Denn für die Bedürfnisse des Herrn hat der Administrator immer Geld zur Verfügung gehabt, — das beste Mittel, um den Herrn an die hervorragenden wirtschaftlichen Eigenschaften des Administrators glauben zu machen und ihn davon zurückzuhalten, sich selbst in die Verwaltung einzumischen. Der Zeitpunkt, den Abschied zu nehmen und sich auf seinen Grundbesitz zurückzuziehen, erscheint Herrn von Kriebow gekommen, bald nachdem er sich verheiratet hat. Das Gesellschaststreiben ist ihm lästig geworden; er fühlt das Bedürfnis nach größerer Unabhängigkeit; er verspricht sich von Grabenhagen einen angenehmen Landaufenthalt, Befriedigung seiner Jagd- und Pferdepassion, eine nicht aufreibende, aber freundliche Geselligkeit, eine in Gemeinschaft mit einer geliebten Frau genossene Idylle und, falls diese Idylle ein paar tote Stunden aufweisen sollte, „Beschäftigung". An Arbeit hat Herr von Kriebow nicht gedacht, als er sich entschloß, sich nach Grabenhagen zurückzuziehen. Gelernt hat er weder zu wirtschaften noch zu rechnen; dafür aber bringt er als das Resultat seiner bisherigen Lebensführung eine Menge von Ansprüchen mit, die aus dem Lande ebenso unmotiviert wie schwer und kostspielig zu befriedigen sind. Die Tagelöhner von Grabenhagen sind ihm fremd geworden; er glaubt auch seinen Verpflichtungen gegen sie vollkommen zu entsprechen, wenn sie für ihre Arbeitsleistungen von ihm nach Uebereinkunft bezahlt werden. Zwischen ihm und ihnen steht als Zwischeninstanz der Inspektor, der Herrn von Kriebows volles Vertrauen besitzt, — nicht weil er ihn als absolut vertrauenswürdig erprobt hat, sondern weil er ihm bisher das Leben und die Nutznießung seines Gutes io bequem wie möglich gemacht hat. Herr von Kriebows junge Frau bringt für die Aufgaben einer ostelbischen Gutsfrau ebensowenig Vorbildung mit wie ihr Gatte. Die Verhältnisse sind ihr ganz fremd, da sie dem westdeutschen Schloßadel entstammt, einer Gegend, die unter ganz andern Bedingungen sich entwickelt hat und lebt. Aber sie hat vor ihrem Gatten etwas sehr Wichtiges voraus: den größeren sittlichen Ernst, mit dem sie die Dinge betrachtet. So findet sie, trotzdem ihr alles viel fremder ist als ihm, doch schneller als er den rechten Standpunkt gegenüber den Menschen wie den Verhältnissen. Er legt, ein Resultat seines langjährigen Verkehrs in der Berliner Gesellschaft, ein starkes Gewicht auf Aeußerlichkeiten; sie sucht unter den Aeußerlichkeiten nach dem Kern und dieser ist bestimmend für ihr Endurteil. Daß unter diesen Umständen Herr von Kriebow viel Lehrgeld zu bezahlen hat, ehe er sich den Verhältnissen, die er sich so einfach und bequem vorgestellt hatte, gewachsen fühlen kann, ist klar. Aber die Wandlung, die mit dem Augenblicke beginnt, wo in dein Gutsherrn das Verantwortungsgefühl für seine
Scholle und die, die sie mit ihm bewohnen, erwacht, wo das Gefühl des Besitzes sich in die Heimatsliebe verwandelt, ist auch überzeugend veranschaulicht. Natürlich ist der Typus des Helden, wenn er auch als der in den Vorbedingungen seiner Entwicklung häufigste im Mittelpunkte des Romanes steht, nicht der einzige Typus des modernen Gutsbesitzers, den Wilhelm von Polenz schildert. Die Umgegend von Grabenhagen, auf die Herr und Frau von Kriebow in ihrem Verkehr angewiesen sind, bietet Gelegenheit genug, um eine Porträtgalerie der verschiedenartigsten Charakterköpse zu zeichnen. Lebenswahr sind sie alle, diese Landwirte oder vielmehr Gutsbesitzer — denn Landwirte in der wahren Bedeutung des Wortes sind sie nicht alle — wie sie sein sollen und wie sie nicht sein sollen. Auch der an der Börse reich gewordene Kapitalist, der sich einen Großgrundbesitz zulegt, um seine gesellschaftliche Stellung zu fundamentieren, fehlt nicht unter ihnen. Uebrigens,
nebenbei gesagt, halte ich den güterkaufenden Banquier für eine der geringsten Gefahren, die dem Agrarier drohen. Denn entweder werden seine Nachkommen wirkliche Landwirte — und ein Zuwachs von kapitalkräftigen Genossen kann dem ländlichen Grundbesitz nur willkommen sein — oder, und das wird der häufigere Fall sein, der ehrgeizige Banquier entledigt sich seines Besitzes wieder, nachdem er ihn mehr Geld gekostet hat als er sich vordem träumen ließ. In
letzterem Falle ist Geld unter die Leute gekommen, was in solchen Fällen auch kein volkswirtschaftliches Unglück ist. Daß die Landwirte sich alle von den in dem Roman entwickelten landwirtschaftlichen Fundamentalsätzen überzeugen lassen werden, will ich nicht behaupten. Viele werden, glaube ich, der Meinung sein, Wilhelm von Polenz wirtschafte noch zu sehr aus dem Vollen, das heißt, er stelle
die Lage des ländlichen Großgrundbesitzes noch zu rosig dar. Aber selbst wenn diese Meinung die richtige wäre, sollte die Mahnung des Autors: „Helft euch selbst und helft euch gründlich, indem ihr eure Ziele höher steckt," Beachtung finden. Gelesen zu werden verdient der Roman unter allen Umständen, denn er gehört zu den seltenen Romanen, die darauf Anspruch machen können, mehr als Unterhaltungslektüre zu sein, und die doch das Bedürfnis nach Unterhaltung vollauf befriedigen.
Auch in dem in demselben Verlage erschienenen Roman „Steirische Schlösser" von Karl Baron Torre- sani ist viel von dem bedrohten ländlichen Grundbesitz die Rede und von den Schwierigkeiten, mit denen auch in Steiermark der Landwirt zu kämpfen hat. Aber der ehrliche Leser gewinnt doch den Eindruck, daß der Held des Romans nicht an diesen Schwierigkeiten scheitert, sondern an seiner Energielosigkeit. Herr von Hoyer ist Besitzer der Platz, eines steirischen Schlosses, dessen feudaler Anstrich und entzückende Lage einem durch die Fabrikation von seidenen Tüchern reich gewordenen Großindustriellen in die Augen gestochen haben. Da er sich gutwillig zum Verkauf nicht entschließen will, — was eigentlich das Verständigste wäre, denn er hat für die Landwirtschaft gar kein Interesse und nicht Vermögen genug, um einen reinen Lnxusbesitz halten zu können — eröffnet der Millionär mit allen Mitteln des Geldes einen Kampf gegen ihn, um ihn zum Verkauf zu zwingen. Die Platz ist ein reiner Luxusbesitz. Ein altes, guterhaltenes Feudalschloß, das der Großvater des Herrn von Hoyer gekauft und in dem er, einer Liebhaberei folgend, eine Sammlung von mittelalterlichen Kunst- und Gebrauchsgegenständen zusammengetragen hat. Sie mit modernen Ansprüchen zu bewohnen, erfordert viel mehr Mittel, als der dazu gehörige wenig umfangreiche Grundbesitz selbst unter günstigeren Verhältnissen würde ausbringen können. Wäre Herr von Hoyer der Abkömmling des alten Geschlechts, das die Platz erbaut hat und durch Jahrhunderte mit ihr aus das engste verknüpft ist,