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Weber Land und Meer,
so würde man die Zähigkeit, mit der er sich an ihren Besitz klammert, besser verstehen können, und die Teilnahme für ihn würde größer sein. So aber kann ihn der Leser weniger für einen Gefühlsmenschen halten, der über idealistischen Träumereien die Wirklichkeit vergißt, als für einen ziemlichen Thoren, der seine Verhältnisse nicht klar zu überblicken vermag und eine gute Chance aus der Hand giebt, — die seltene Möglichkeit, einen Besitz, der dem Besitzer eine Last geworden ist, nicht nur zu seinem praktischen, sondern zu seinem idealen Wert loszuschlagen. Denn so skrupellos auch der baronisierte Herr Kolbe in der Wahl seiner Mittel ist, eines muß man ihm doch lassen: er zeigt niemals das Bestreben, die Notlage des Herrn von Hoyer auch zu einem Herunterdrücken des Kaufpreises auszunutzen. Das ist ein anerkennenswerter Zug, denn er ist bei baronisierten und nicht baronisierten Millionären durchaus nicht selbstverständlich. Alles das aber ist nicht als Einwand gegen Torresanis Roman gesagt, sondern lediglich zur Begründung meiner Ansicht, daß gerade der Held dieses Romans die Sympathien des Lesers nicht in dem Maße hat, wie der Verfasser vielleicht erwartete. Der Leser kommt nicht darüber hinaus, daß Herr von Hoyer zwar ein sehr liebenswürdiger und angenehmer Mensch und das ist, was man einen anständigen Charakter nennt, daß er aber doch mehr oder weniger zum Stamme der Drohnen gehört. Auch in der Heldin werden, wie ich vermute, die meisten Leser nur eine Romanfigur sehen, die sie sich nicht ganz deutlich in die Wirklichkeit übersetzen können: ein junges Mädchen, das als halbes Kind noch, durch einen verlumpten Vater weit- und menschenfremd geworden, in die Erzählung einspringt, von Herrn von Hoyer in ein Kloster zur Erziehung gegeben wird, als der Vater die Tochter sitzen läßt, und aus dem Kloster ausrückt und aus die Platz eilt, weil sie von den mißlichen Verhältnissen ihres Gönners gehört und sich in ihr die fixe Idee festgesetzt hat, sie sei, eine zweite Jungfrau von Orleans, berufen, wenn auch nicht Frankreich, so doch Herrn von Hoyer aus seiner fatalen Situation zu erretten. Daß sich die Phantasie des jungen Mädchens bis zu dieser Vorstellung erhitzt, ist dem Verfasser sehr wohl gelungen, glaubhaft zu machen. Daß der Retterin aber auch wirklich das Rettungswerk glücken würde, wenn Herr von Hoyer selbst nicht durch seine Indifferenz und Schwerfälligkeit alle ihre Anstrengungen vereitelte, — das erscheint dem Leser romanhaft. Romanhaft übrigens, ohne das Interesse an dem Roman zu beeinträchtigen. Denn das Schicksal des Herrn von Hoyer und die Anstrengungen, die Geraldine macht, um ihn vor seinem Schicksal zu bewahren, bilden nur den roten Faden, an dem Baron Torresani interessantere Begebenheiten und interessantere Menschen aufgereiht hat. Sind Held und Heldin, Idealfiguren, die nicht übermäßig interessieren, weil der Held zu wenig Initiative, die Heldin zu viel und zu glückliche Initiative hat, so sind die Nebenfiguren Menschen, an deren Zeichnung Baron Torresani zeigt, wie er lebenswahr in jedem Strich sein kann, wenn er die Lebenswahrheit nicht der sogenannten „spannenden Handlung" unterzuordnen für notwendig hält. Und es sind Menschen der verschiedensten Gattung, die Baron Torresani vor uns hinstellt. Fürst Rittersperg Vater und Sohn, die Grandseigneurs der Gegend, die Familie von Hoyer auf der Platz, eigentlich nur Mutter und Sohn, aber vervollständigt durch den alten Verehrer der Mutter, den Malteser Grafen Leppotitz und die alte Gräfin Herspergh, die letzte des alten Geschlechtes, das die Platz erbaute, und die, gänzlich verarmt, von den Hoyers mit durchgesüttert wird, sich aber immer noch als die einzige rechtmäßige Bewohnerin des Schlosses fühlt, der Bauer Boronik mit seiner Familie, Wirtschaftsbeamte und Arbeiter, Stadtherren und Geistlichkeit. Vor allen: aber die baronisierte Familie Kolbe, Vater, zwei Töchter
und eine sehr schöne Erzieherin und Hausdame in arg schiefer Stellung zwischen Vater und Töchtern. Mir ist dieser Kolbe weitaus die interessanteste Persönlichkeit des Buches gewesen, trotzdem er auch zugleich die unangenehmste ist. Ein Mensch, der Millionen verdient hat und der in der Ueberzeugung lebt, für Geld sei alles zu haben. Als Hausierer ist er aus Deutschland nach Steiermark ein- gewaudert und hat als solcher den „Geschmack" der Landbevölkerung studiert. Diesem Geschmack entsprechend fabriziert er im Lande vielgetragene seidene Tücher, schlägt alle Konkurrenten aus dem Felde und erwirbt ein sehr großes Vermögen. Aller Luxus des Protzentums umgiebt ihn, aber befriedigt ihn nicht auf die Dauer, denn ihn packt der Ehrgeiz, eine Position zu haben. Das älteste und besterhaltene Feudalschloß des Landes reizt ihn, und da Herr von Hoyer thöricht genug ist, ihm die Platz nicht gutwillig abzutreten, kauft er einstweilen das Nachbargut Gradisch, von dem aus er die Platz im Auge behalten kann, und um die Platz herum alles, was nur an Grund und Boden zu haben ist. Und nun beginnt das Schikanieren. In einer endlosen Reihe von Prozessen sucht er dem Besitzer der Platz Wege und Wasser abzusperren und ihn auf diese Weise mürbe zu machen. Ein kurzer Waffenstillstand tritt ein, als eine der Töchter des baronisierten Herrn Kolbe und Herr von Hoyer sich füreinander zu interessieren scheinen, — auch der Weg, durch eine solche Verbindung in den Besitz des Schlosses zu gelangen, scheint Herrn Kolbe gangbar. Als aus der Heirat nichts wird, beginnt der Kampf von neuem. Und als Kolbe endlich Sieger ist, verzichtet er auf alle Vorteile des Sieges — um eines Mädchens willen, das seine brutale Begierde reizt und das er durch diesen Verzicht gewinnen zu können glaubt. Kolbe ist nicht einer jener Geldmenschen, die ihrem Ehrgeiz eii: Stück von sich selbst zu opfern willig sind. Brutal von Natur, läßt er auch die Gesellschaft, in der festen Fuß zu fassen sein höchster Ehrgeiz ist, seine Brutalitäten fühlen. Und die Gesellschaft läßt sich diese Brutalitäten gefallen, um der Kolbeschen Millionen willen. Sie verzeiht dein Eindringling Dinge, die sie keinem der Ihrigen verzeihen würde: die skrupellosen Belästigungen des Herrn von Hoyer, ganz offenkundige Beziehungen zu der schönen Gouvernante seiner Töchter, Doppelzüngigkeit und Wortbruch, das protzenhafte Herauswerfen des Goldes, wo er sich einen Erfolg davon verspricht, und die schamlose Knauserei, wo Geldausgeben keinen direkten persönlichen Nutzen oder kein direktes persönliches Vergnügen verspricht. Glücklicherweise ist dieser Millionär Kolbe kein Typus; denn selten steigert sich der Größenwahn einer brutalen Natur bis zu diesem Grade; aber er ist eine mit außerordentlicher Feinheit betrachtete und in allen Zügen unheimlich lebenswahr wiedergegebene Individualität.
Pierre Lotis neuester Roman „Ramuntcho" (deutsch von E. Philiparie, Stuttgart, Deutsche Verlags- Anstalt) spielt in den Pyrenäen. Wie alle Romane des französischen Dichters giebt er eine fein ausgeführte Charakterstudie und ein stimmungsvolles Bild von Land und Leuten. Hart an der spanischen Grenze liegt das Dorf, in dem Ramuntcho mit seiner Mrktter lebt. Von seinem Vater weiß er nichts. Die Mutter hat sich mit ihrem Kinde in ihr Heimatsdorf zurückgezogen, als sie empfand, daß die Liebe des Vaters dieses Kindes, den sie draußen in der großen Welt kennen gelernt, zu erkalten begann. Unter einer Bevölkerung, die von Landwirtschaft und Schmuggel lebt, wächst der Knabe heran. Noch halbwüchsig, schließt er sich den Schmugglern an und führt mit ihnen ein abenteuerliches Nachtleben, das reich an Gefahren ist und ihm kargen Lohn bringt, denn den Hauptgewinn streicht der Führer der Schmugglerbande ein. Dabei stählen sich seine Muskeln und schärst sich sein Auge — er wird ein