Heft 
(1897) 07
Seite
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Ueber Land und Meer.

Jedenfalls glaube ich, daß die ersten christlichen Märtyrer, wenn sie nicht stiller gelebt hätten und stiller gestorben wären als diese Voßsche Maria, unmöglich einen so großen Einfluß auf das Volk ausgeübt haben würden, wie sie ihn in Wirklichkeit ausgeübt haben, und sicher nicht so viel Nachfolge gefunden hätten. Sehr viel überzeugender als den Geist des ersten Christentums hat Voß den Geist des korrumpierten Heiden- und Römertums geschildert; da ist er vortrefflich unterstützt von seiner genauen Kenntnis Italiens, von seiner weitschweifenden Phantasie und von seiner malerischen, in Farben schwelgenden Darstellungsgabe.

Mann und Weib" nennt Goswina von Ber­lepsch einen Band gesammelter Novellen (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt), die alle fünf das Zusammen­gehen oder Auseinanderstreben der Geschlechter zum Vor­wurf haben. Ich sage absichtlich nicht:den Kampf" der Geschlechter. Denn Goswina von Berlepsch steht offenbar nicht auf dem fortgeschrittenen Standpunkt, daß die Be­ziehungen der Geschlechter zu einander im Grunde feindliche seien, und daß jedes darauf ausgehe, das andre zu unter­drücken. Im Gegenteil lehren drei von den Novellen ganz überzeugend, wenn sie auch gar nicht lehrhaft geschrieben sind, daß ein Handindhandgehen der beiden jedes stärker macht und der eigentliche Zweck der Schöpfung ist. Auch die vierte,Vendetta", die den Band einleitet, lehrt das, wenn der berühmte Wiener Künstler und die berühmte Wiener Künstlerin, die darin sich eifersüchtig bekriegen, auch nicht zu einem vollen Friedensschluß und gegenseitigen Bündnis gelangen; denn sie wird sich durch ihn erst that- sächlich des vollen Umfanges und der ganzen Tiefe ihres Talentes bewußt, und er fühlt es wohl, daß er sich das einzige wahre Glück hat aus der Hand gleiten lassen, nachdem er sie verloren hat. Nur eine der Novellen, Ein Maitag", läßt ein unglückliches Mädchen an ihrer Liebe und an der Unzuverlässigkeit des Mannes, dem sie vertraut hat, zu Grunde gehen. Alle fünf Novellen sind ganz außerordentlich fein in der Stimmung und Charak­teristik und von einer Vornehmheit der Darstellung, wie sie von unfern Erzählerinnen nur noch Marie von Ebner- Eschenbach erreicht.

Sehr stimmungsvoll durchgeführt ist auch eine Erzählung Der lustige Lieutenant" von Wilhelm Krag (deutsch von Eugen von Enzberg, Berlin, F. Fontane L Co.), und das Schicksal des Helden, eines lebenslustigen, ein wenig leichtsinnigen Kavallerie-Offiziers, den die Liebe zu einem glücklichen Musterehemann umwandelt, der seine Frau vergöttert, bis er sie plötzlich in den Armen seines Freundes findet, und der an dieser trüben Erfahrung zu Grunde geht, läßt den Leser nicht ohne Teilnahme. Aber ganz erschüttert und ganz befriedigt diese scheinbar sich widerstreitenden Gefühle finden ja in der Brust eines ge­fühlvollen Lesers nicht selten ein gemeinsames Plätzchen legt man das Buch doch nicht aus der Hand. Man fragt sich vergebens:Wie konnte das nur so kommen?", und der Verfasser giebt auf diese Frage keine Antwort. Er­zeigt uns nur den lustigen Lieutenant,?sein, wie man glauben

muß, in der Liebe zu ihrem Gatten auch glückliches Weibchen und den Freund, der, durch den Tod seiner Frau hart betroffen, von dem Lieutenant zu längerem Be­such eingeladen wird. Und dann, ohne daß der Leser vor­bereitet wird, ohne daß er Unheil ahnt oder sich anbahnen sieht, kehrt der Lieutenant eines frühen Morgens von der Jagd zurück und überrascht die Frau und den Freund in einer Situation, die keiner Aufklärung bedarf. Daß er, der betrogene Ehemann, nicht neugierig ist, zu erfahren, wie diese Wandlung der Gefühle seiner Frau begonnen hat, und wie der Freund sein Vertrauen verraten konnte, das ist erklärlich und begreiflich. Aber ebenso begreiflich ist es auch, daß der Leser sich nur ungern mit der ein­fachen Thatsache zufrieden giebt, daß er nach einer psycho­logischen Erklärung verlangt.

In einem BandeDeutsche nigsstäd te" schil­dert Alfred Lichtwark, der Direktor und Schöpfer, wie man ihn wohl nennen könnte, des Hamburger Mu­seums, in geistvollen Aufsätzen künstlerische und historische Eindrücke, die er in Berlin, Potsdam, Dresden, München und Stuttgart empfangen hat. Am meisten Eindruck hat der Artikel über Potsdam auf mich gemacht, vielleicht nur deshalb, weil eine so klare Zusammenfassung der künst­lerischen und historischen Bedeutung Potsdams selten ge­geben worden ist, die Stadt vielmehr immer noch als ein Ausflugsort gilt, den man von Berlin aus bequem in zwölf Stunden erschöpfen kann. Und daß Lichtwark nicht nur der Kunst in Potsdam, sondern auch der Natur in Potsdam gerecht wird, ist ein besonderer Vorzug dieser Arbeit. Daß aber auch sehr geistvolle Leute zu falschen Schlüssen gelangen können, wenn sie von falschen Voraus­setzungen ausgehen, beweist Lichtwark in seinem Artikel über Stuttgart. Er wird da dem Schloßplatz in seiner Schön­heit vollkommen gerecht, aber wenn er an den den Schloß­platz einschließenden Gebäuden Geschichte demonstriert und den Königsbau und den Königin-Olgabau als steinerne Zeugen des Bürgertums, dasheute gemeinsam mit dem Fürsten die Gewalt in Händen hat", dem alten und neuen Schloß gegenüberstellt, so begeht er einen Irrtum. Beide Bauten verdanke,: ihre Entstehung königlicher Mnnificenz und dem königlichen Wunsche, die Umgebung des Schloß­platzes architektonisch würdig abzuschließen, und beide sind fürstlicher Besitz. Das erstere erbaute der verstorbene König, und es gehört zum Kronfideikommiß; den Königin-Olga­bau ließ die Herzogin Wem von Württemberg ans der ihr zugefallenen Hinterlassenschaft der Königin Olga, der lehtwilligen Verfügung der Verstorbenen entsprechend, er­bauen. Auch die musterhaft gehaltenen Anlagen des Schloß­platzes sind durchaus ein Beweis königlicher Munificenz. Die städtischen Plätze Stuttgarts sind dagegen von einer Schmucklosigkeit, die von keiner andern Stadt Deutschlands erreicht werden dürfte, und die Bourgeoisie, die nach Lichtwark gemeinsam mit den: Fürsten die Gewalt in Händen hat, fühlt sich noch immer befriedigt von einem Rathause, das ein erstaunlich unwürdiger Repräsentant dieser Gewalt ist.