Heft 
(1897) 08
Seite
226
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Ueber Land und Meer.

Denn es war die Zeit, wo das Carlylesche Buch über Friedrich den Großen immer noch in Mode war, und wo's Zuin guten Ton gehörte, sich nicht bloß um die Terrasse von Sanssouci zu kümmern, son­dern auch um Rheinsberg und den Orden äa In Mnerosile. Lebt das alles noch da? Spricht das Volk noch davon?"

Nein, Comtesse, das ist alles fort. Und über­haupt, von dem großen König spricht niemand mehr, was auch kaum anders sein kann. Der große König war als Kronprinz nur kurze Zeit da, sein Bruder Heinrich aber fünfzig Jahre. Und so hat die Prinz- Heinrichzeit beklagenswerterweise die Kronprinzenzeit ganz erdrückt. Aber beklagenswert doch nicht in allem. Denn Prinz Heinrich war auch bedeutend und vor allem sehr kritisch. Was doch immer ein Vorzug ist."

Sehr warr, sehr warr," unterbrach hier Wrschowitz.

Er war sehr kritisch," wiederholte Woldemar. Namentlich auch gegen seinen Bruder, den König. Und die Malcontenten, deren es auch damals schon die Hülle und Fülle gab, waren beständig um ihn herum. Und dabei kommt immer was heraus."

Sehr warr, sehr warr..."

Denn zufriedene Hosleute sind allemal öd und langweilig, aber die Frondeurs, wenn die den Mund austhun, da kann man was hören."

Gewiß," sagte Armgard.Aber trotzdem, Herr von Stechlin, ich kann das Frondieren nicht leiden. Frondeur ist doch immer nur der gewohnheitsmäßig Unzufriedene, und wer immer unzufrieden ist, der taugt nichts. Immer Unzufriedene sind dünkelhaft und oft boshaft dazu, und während sie sich über andre lustig machen, lassen sie selber viel zu wünschen."

Sehr warr, sehr warr, gnädigste Comtesse," verbeugte sich Wrschowitz.Aber, wollen verzeilm, ich bin doch für Frondeur. Frondeur ist Krittikk, und wo Guttes sein will, muß sein Krittikk. Deutsche Kunst viel Krittikk. Erst muß sein Kunst, gewiß, gewiß, aber gleich danach muß sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kops ab aus Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp is, is Kopf ab."

Alles schwieg, so daß dem Grafen nichts übrig blieb, als etwas verspätet seine halbe Zustimmung auszudrücken. Armgard ihrerseits beeilte sich, aus Rheinsberg zurückzukommen, das ihr trotz des fatalen Zwischenfalls mitKopf ab", im Vergleich zu viel­leicht wiederkehrenden Mnsikgesprächen, immer noch als ein Nothafen erschien.

Ich glaube," sagte sie,neben manchem andern auch mal von der Frauenfeindschaft des Prinzen gehört zu haben. Er soll irre ich mich, so werden Sie mich korrigieren ein sogenannter Misogyne gewesen sein. Etwas durchaus Krankhaftes in meinen Augen oder doch mindestens etwas sehr Sonderbares."

Sehr sonderbare'," sagte Wrschowitz, während sich, unter Hinblick auf Armgard, sein Gesicht huldigend verklärte.

Wie gut, lieber Wrschowitz," fuhr Armgard fort,daß Sie, mein Wort bestätigend, für uns

arme Frauen und Mädchen eintreten. Es giebt immer noch Ritter, und wir sind ihrer so sehr be­nötigt. Denn wie mir Melusine erzählt hat, sind die Weiberfeinde sogar stolz darauf, Weiberfeinde zu sein, und behandeln ihr Denken und Thun als eine höhere Lebensform. Kennen Sie solche Leute, Herr von Stechlin? Und wenn Sie solche Leute kennen, wie denken Sie darüber?"

Ich betrachte sie zunächst als Unglückliche."

Das ist recht."

Und zum zweiten als Kranke. Der Prinz, wie Comtesse schon ganz richtig ausgesprochen haben, war auch ein solcher Kranker."

Und wie äußerte sich das? Oder ist es über­haupt nicht möglich, über das Thema zu sprechen?"

Nicht ganz leicht, Comtesse. Doch in Gegen­wart des Herrn Grafen und nicht Zu vergessen auch Doktors Wrschowitz, der so schön und so ritterlich gegen die Misogynität Partei genommen, unter solchem Beistände will ich es doch wagen."

Das ist recht. Denn ich brenne vor Neugier."

Und will auch nicht länger ängstlich um die Sache herumgehen. Unser Nheinsberger Prinz war ein richtiger Prinz aus dem vorigen Jahrhundert. Die jetzigen sind Menschen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der Passionen unsers Rheins­berger Prinzen wenn man will, eine Art Ab­zweigung von dem, was schon gesagt wurde war eine geheimnisvolle Vorliebe für jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn eine Braut im Rheins- bergischen, am liebsten auf dem Lande, gestorben war, so lud er sich dabei zu Gast. Und eh' der Geistliche noch da sein konnte (den vermied er), er­schien er und stellte sich an das Fußende des Sarges und starrte die Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und aussehen wie das Leben."

Aber das ist ja schrecklich," brach es beinahe leidenschaftlich aus Armgard hervor.Ich mag diesen Prinzen nicht und seine ganze Fronde nicht. Denn die müssen ebenso gewesen sein. Das ist ja Blasphemie, das ist ja Gräberschändung, ich muß das Wort anssprechen, weil ich so empört bin und nicht anders kann."

Der alte Gras sah die Tochter an, und ein Freuden­strahl umleuchtete sein gutes altes Gesicht. Auch Wrschowitz empfand so was von unbedingter Huldi­gung, bezwang sich aber und sah, statt auf Armgard, auf das Bild der Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte.

Nur Woldemar blieb ruhig und sagte:Com­tesse, Sie gehen vielleicht zu weit. Wissen Sie, was in der Seele des Prinzen vorgegangen ist? Es kann etwas Infernales gewesen sein, aber auch etwas andres. Wir wissen es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große Züge hatte, so bin ich dafür, ihm das in Rechnung zu stellen."

Bravo, Stechlin," sagte der alte Graf.Ich war erst Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir wissen es nicht. Und so viel weiß ich noch von der Juristerei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gastrolle gab, daß man in Zweifelhaften Fällen in tävorsm. entscheiden muß. Uebrigens geht eben