Heft 
(1897) 08
Seite
247
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Stechlin.

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Ermyntrud wies auf ein Taburett, das sie mittler­weile neben ihren Sofaplatz geschoben, und sagte: Daß ich immer wieder davon sprechen muß, Wladi­mir. Wir leben eben nicht in der Welt um unsert-, sondern um andrer willen. Ich will nicht sagen um der Menschheit willen, was eitel klingt, wie­wohl es eigentlich wohl so sein sollte. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht..."

Gewiß, Ermyntrud. Wir sind einig darüber. Es ist dies außerdem auch etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor andern Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die uns nicht begreifen oder übelwollen, dämmert die Vorstellung von unsrer daraus entspringenden Ueberlegenheit. Aber es giebt doch Unterschiede, Grade. Wenn ich statt zu der Stechliner Wählerversammlung lieber zu Doktor Sponholz oder Zur alten Stinten in Kloster Wutz (die ja schon früher einmal dabei war) gefahren wäre, so wäre das doch vielleicht das Bessere gewesen. Es ist ein Glück, daß es noch mal so vorübergegangen. Aber darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen."

Nein, darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen. Aber man darf darauf rechnen, daß, wenn man das Pflichtgemäße thut, man zugleich auch das Rechte thut. Es hängt so viel an der Wahl unsers alten trefflichen Stechlin. Er steht außerdem sittlich höher als Kortschädel, dem mau, trotz seiner siebzig, allerhand nachsagen durfte. Stechlin ist ganz intakt. Etwas sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe wenigstens ich."

Gewiß, Ermyntrud, gewiß."

In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten ein­gedenk sein, ohne bei Neigung oder Stimmung an­zufragen, das Hab' ich mir in feierlicher Stunde gelobt, du weißt, in welcher, und du wirst mir das Zeugnis ausstellen, daß ich diesem Gelöbnis nach­gekommen ..."

Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fundament..."

Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelte, wie doch heute ganz offenbar, wie hätt' ich da sagen wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein und untreu."

Nicht untreu, Ermyntrud."

Doch, doch. Es giebt viele Formen der Un­treue. Das Persönliche hat sich der Familie zu be­quemen und unterzuordnen und die Familie wieder der Gesellschaft. In diesem Sinne bin ich erzogen, und in diesem Sinne that ich den Schritt. Ver­lange nicht, daß ich in irgend etwas diesen Schritt zurückthue."

Nie."

Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter, deren storres Haar, von keiner Bürste gezähmt, immer weit abstand, erschien in diesem Augenblicke, meldend, daß sie das Theezeug gebracht habe.

Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das zweite, nach dem Hof hinaus gelegene Zimmer zu führen. Als er aber wahrnahm, wie schwer ihr

das Gehen wurde, sagte er:Ich freue mich, dich so sprechen zu hören. Immer du selbst. Ich bin aber doch in Unruhe und will morgen früh zur Frau schicken."

. Sie nickte zustimmend, während ein halb Zärtlicher Blick den guten Katzler streifte, der, solange das ihm nur zu wohlbekannte Gespräch über Pflicht gedauert hatte, von Minute zu Minute verlegener geworden war.

XIX.

Und nun war Wahltagmorgen. Kurz vor acht erschien Lorenzen auf dem Schloß, um in Dubslavs schon auf der Rampe haltenden Kaleschewagen ein­zusteigen und mit nach Rheinsberg zu fahren. Der Alte, bereits gestiefelt und gespornt, empfing ihn mit gewohnter Herzlichkeit und guter Laune.Das ist recht, Lorenzen. Und nun wollen wir auch gleich aufsteigen. Aber warum haben Sie mich nicht an Ihrem Pfarrgarten erwartet? Muß ja doch dran vorüber" und dabei schob er ihm voll Sorg- lichkeit eine Decke zu, während die Pferde schon anrückten.Uebrigens sreut es mich trotzdem (mau widerspricht sich immer), daß Sie nicht so praktisch gewesen und doch lieber gekommen sind. Es is 'ne Politesse. Die Menschen sind jetzt so schrecklich un- poliert und geradezu unmanierlich . .. Aber lassen wir's; ich kann es nicht ändern, und es grämt mich auch nicht."

Weil Sie gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich angesehn, so ziemlich unser Bestes ist."

Dubslav lachte.Ja, so viel ist richtig; Kopf­hängerei war nie meine Sache, und wäre das ver­dammte Geld nicht. . . Hören Sie, Lorenzen, das mit dem Mammon und dem goldnen Kalb, das sind doch eigentlich alles sehr feine Sachen."

Gewiß, Herr von Stechlin."

... Und wäre das verdammte Geld nicht, so hätt' ich den Kopf noch weniger hängen lassen, als ich gethan. Aber das Geld. Da war, noch unter Friedrich Wilhelm III., der alte General von der Marwitz auf Friedersdorf, von dem Sie gewiß mal gehört haben, der hat in seinen Memoiren irgend­wo gesagt: ,er hätte sich aus dem Dienst gern schon früh auf sein Gut zurückgezogen und sei bloß ge­blieben um des Schlechtesten willen, was es über­haupt gäbe, um des Geldes willen' und das hat damals, als ich es las, einen großen Eindruck auf mich gemacht. Denn es gehört was dazu, das so ruhig auszusprechen. Die Menschen sind in allen Stücken so verlogen und unehrlich, auch in Geld­sachen, fast noch mehr als in Tugend. Und das will was sagen. Ja, Lorenzen, so ist es . .. Na, lassen wir's, Sie wissen ja auch Bescheid. Und dann sind das schließlich auch keine Betrachtungen für heute, wo ich gewählt werden und den Trium­phator spielen soll. Uebrigens geh' ich einem totalen Kladderadatsch entgegen. Ich werde nicht gewählt."

Lorenzen wurde verlegen, denn was Dubslav da zuletzt sagte, das stimmte nur Zu sehr mit seiner eignen Meinung. Aber er mußte wohl oder übel, so schwer es ihm wurde, das Gegenteil versichern. Ihre Wahl, Herr von Stechlin, steht, glaub' ich.