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Stechlin.
die Klingel. An bester Stelle wird ein Gespräch immer unterbrochen. Es wird Melusine sein. Und so sehr ich gewünscht hätte, sie wäre von Anfang an mit dabei gewesen, wenn sie jetzt so mit einem Male dazwischen fährt, ist selbst Melusine eine Störung."
Es war wirklich Melusine. Sie trat, ohne draußen abgelegt zn haben, ins Zimmer, warf das schottische Cape, das sie trug, in eine Sofa-Ecke und schritt, während sie noch den Hut aus dem Haare nestelte, bis an den Tisch, um hier zunächst den Vater, dann aber die beiden andern Herren zu begrüßen. „Ich seh' euch so verlegen, woraus ich schließe, daß eben etwas Gefährliches gesagt worden ist. Also etwas über mich."
„Aber, Melusine, wie eitel."
„Nun, dann also nicht über mich. Aber über wen? Das wenigstens will ich wissen. Von wem war die Rede?"
„Vorn Prinzen Heinrich. Aber von dem ganz allen, der schon fast hundert Jahre tot ist."
„Da konntet Ihr auch was Besseres thun."
„Wenn du wüßtest, was uns Stechlin von ihm erzählt hat, und daß er — nicht Stechlin, aber der Prinz — ein Misogyne war, so würdest du vielleicht anders sprechen."
„Misogyne. Das freilich ändert die Sache. Ja, lieber Stechlin, da kann ich Ihnen nicht helfen, davon muß ich auch noch hören. Und wenn Sie mir's abschlagen, so wenigstens was Gleichwertiges."
„Gräfin Melusine, was Gleichwertiges giebt es nicht."
„Das ist gut, sehr gut, weil es so wahr ist. Aber dann bitt' ich um etwas Zweiten Ranges. Ich sehe, daß Sie von Ihrem Ansflnge erzählt haben, von Ihrem Papa, von Schloß Stechlin selbst oder von Ihrem Dorf und Ihrer Gegend. Und davon möcht' ich auch hören, wenn es auch freilich nicht an das andre heranreicht."
„Ach, Gräfin, Sie wissen nicht, wie bescheiden es mit unserin Stechliner Erdenwinkel bestellt ist. Wir haben da, von einen: Pastor abgesehen, der beinah' Sozialdemokrat ist, und des weiteren von einem Oberförster abgesehen, der eine Prinzessin, eine Jppe- Büchsenstein, geheiratet hat..."
„Aber das ist ja alles großartig..."
„Wir haben da, von diesen zwei Sehenswürdigkeilen abgesehen, eigentlich nur noch den ,Stechlind Ter ginge vielleicht, über den ließe sich vielleicht etwas sagen."
„Den ,Stechlin'? Was ist das? Ich bin so glücklich, zu wissen" (und sie machte verbindlich eine Handbewegnng auf Woldemar zu) „ich bin so glücklich, Zu wissen, daß es Stechlitte giebt. Aber der Stechlin! Was ist der Stechlin?"
„Das ist ein See."
„Ein See. Das besagt nicht viel. Seen, wenn es nicht grade der Vierwaldstätter ist, werden immer erst interessant durch ihre Fische, durch Sterlet oder Felchen. Ich will nicht weiter aufzählen. Aber was hat der Stechlin? Ich vermute, Steckerlinge."
„Nein, Gräfin, die hat er nun gerade nicht.
Er hat genau das, was Sie geneigt sind an: wenigsten zu vermuten. Er hat Weltbeziehnngen, vornehme, geheimnisvolle Beziehungen hat er, und nur alles Gewöhnliche, wie beispielsweise Steckerlinge, das hat er nicht, das fehlt ihm."
„Aber, Stechlin, Sie werden doch nicht den Empfindlichen spielen. Rittmeister in der Garde!"
„Nein, Gräfin. Und außerdem, den wollt' ich sehen, der das Ihnen gegenüber zuwege brächte."
„Nun dann also, was ist es? Worin bestehen seine vornehmen Beziehungen?"
„Er steht mit den höchsten und allerhöchsten Herrschaften, deren genealogischer Kalender noch über den Gothaischen hinanswächst, auf du und du. Und wenn es in Java rumort oder auf Island, oder der Geiser mal in Doppelhöhe dampft und springt, dann springt auch in unserm Stechlin ein Wasserstrahl auf, und einige (wenn es auch noch niemand gesehen hat), einige behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine zwischen den Strudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die Ruppiner Grafschaft hinein. Ich nenne das vornehme Beziehungen."
„Ich auch," sagte Melusine. Wrschowitz aber, dessen Augen immer größer geworden waren, murmelte vor sich hin: „Sehr warr, sehr warr."
XIV.
Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar seinen Besuch im Barbyschen Hause gemacht hatte. Schon am Mittwoch früh empfing er ein Billet von Melusine.
„Lieber Freund. Lassen Sie mich Ihnen noch nachträglich mein Bedauern anssprechen, daß ich vorgestern nur gerade noch die letzte Scene des letzten Aktes (Geschichte vom Stechlin) mit erleben konnte. Mich verlangt es aber lebhaft, mehr davon zu wissen. In unsrer sogenannten großen Welt giebt es so wenig, was sich zu sehen lind Zn hören verlohnt; das meiste hat sich in die stillen Winkel der Erde Zurückgezogen. Allen vorauf, wie mir scheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette. Sie haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann nur wiederholen, ich möchte davon hören. Unsre gute Baronin, der ich davon erzählt habe, denkt ebenso; sie hat dei: Zug aller naiven und liebenswürdigen Frauen, neugierig zn sein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen zu erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und so haben wir denn eine Nachmittagspartie verabredet, bei der Sie der große Erzähler sein sollen. In der Regel freilich verläuft es anders wie gedacht, und man hört nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber in unserm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin hat mir etwas vorgeschwärmt von einer Gegend, die sie ,Oberspree' nannte (die vielleicht auch wirklich so heißt), llild wo's so schön sein soll, daß sich die Havelherrlichkeiten daneben verstecken müssen. Ich will es ihr glauben, und jedenfalls werd' ich es ihr nachträglich versichern, auch wenn ich es nicht gefunden haben sollte. Das Ziel unsrer Fahrt — ein Punkt, den übrigens die Berchtesgadens noch