StechLin.
Aoman
von
Theodorr Fontorre.
(Fortsetzung)
XII.
l^f^oldemar — wie Rex seinem Freunde Czako, als beide über den Crenuner Damm ritten, ganz richtig mitgeteilt hatte — verkehrte seit Ausgang des Winters im Barbyschen Hause, das ersehe bald vor andern Häusern seiner Bekanntschaft bevorzugte. Vieles war es, was ihn da sesselte, voran die beiden Damen; aber auch der alte Graft Erfand Aehnlichkeiten, selbst in der äußern Erscheinung, zwischen Gras Barby und seinem Papa, und in seinem Tagebuche, das er, trotz sonstiger Modernität, in altmodischer Weise von jung an führte, hatte ersieh gleich am ersten Abend über die Verwandtschaft zwischen beiden geäußert. Es hieß da unterm achtzehnten April: „Ich kann Wedel nicht dankbar genug sein, mich bei den Barbys eingesührt Zu haben; alles, was er von dem Hause gesagt, fand ich bestätigt. Diese Gräfin, wie scharmant, und die Schwester- ebenso, trotzdem größere Gegensätze kaum denkbar sind. An der einen alles Temperament und Anmut, au der andern alles Charakter oder, wenn das zu viel gesagt sein sollte, Schlichtheit, Festigkeit. Es bleibt mit den Rainen doch eine eigne Sache; die Gräfin ist ganz Melusine und die Eom- tesse ganz Armgard. Ich habe bis jetzt freilich unreine dieses Namens kennen gelernt, noch dazu bloß als Bühnensigur, und ich mußte beständig an diese denken, wie sie da so stark und mutig dem Landvogt in den Zügel fällt. Ganz so wirkt Comtesse Armgard I Ich möchte beinah' sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen, daß ihre Mutter eine Schweizerin war. Und dazu der alte Graf! Wie ein Zwillings- bruder von Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, dieselbe Freundlichkeit, dieselbe gute Laune. Papa ist aber ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht hat der verschiedene Lebensgang diese Verschiedenheiten erst geschaffen. Papa sitzt nun seit richtigen dreißig Jahren in seinem Nuppiner Winkel fest, der Graf war ebenso lange draußen! Ein Botschaftsrat ist eben was andres als ein Ritterschaftsrat, und an der Themse wächst man sich anders aus als am ,Stechlinft — unfern Stechlin dabei natürlich in Ehren. Aber die
Ueder Land und Meer. Jll. LU.-Hefte. XIV. 8.
Verwandtschaft bleibt. Und der alte Diener, den sie Jeserich nennen, der ist nun schon ganz und gar unser Engelke vom Kopf bis zur Zeh'. Aber was am verwandtesten ist, das ist doch die gesamte Hausatmosphäre, das Freie. Papa selbst würde zwar darüber lachen — er lacht über nichts so sehr wie über Liberalismus —, und doch kenne ich keinen Menschen, der innerlich so frei wäre, wie gerade mein guter Alter. Zugeben wird er's freilich nie und wird in dem Glauben sterben: ,Morgen tragen sie einen echten alten Junker zu Grabeck Das ist er auch, aber doch auch wieder das volle Gegenteil davon. Er hat keine Spur von Selbstsucht. Und j diesen schönen Zug (ach, so selten), den hat auch der ! alte Gras. Nebenher freilich ist er Weltmann, und das giebt dann den Unterschied und das Uebergewicht. Er weiß — was sie hierzulande nicht wissen oder nicht wissen wollen —, daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter noch ganz andre."
Das waren die Worte, die Woldemar in sein Tagebuch eintrug. Von allem, was er gesehen, war er angenehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung. Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach seinem ersten Besuche wissen konnte. Das von der gräflichen Familie bewohnte Haus mit seinen Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besondern Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, Herr Imme, residierte, während zu dem die zweite Hälfte des Hauses bildenden Hochparterre noch das kleine niedrige Souterrain gerechnet wurde, drin, außer Portier- Hartwig selbst, seine Frau, sein Sohn Rudolf und seine Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich nur Zeitweilig, und zwar immer dann, wenn sie, was allerdings ziemlich häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des Hauses, Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz, hätte diesen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden ^ müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres,
^ quickes und sehr anstelliges Ding war und manches
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