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Aeber Land
besaß, was die Schickedanz mit der Angehörigkeit des ewigen Dienstwechsels wieder anssöhnte.
Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, als im Herbst fünfundachtzig die Barbys einzogen, Comtesse Armgard damals erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, erst im Dezember des voraufgegangenen Jahres gestorben war, „drei Tage vor Weihnachten", ein Umstand, aus denderHilssprediger, ein junger Kandidat, in seiner Rede beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz selbst und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die während der ganzen Rede beständig mit dem Kopf genickt und nachträglich ihrem Manne bemerkt hatte: „Ja, Hartwig, da liegt was drin." Hartwig selber freilich, der, im Gegensatz zu den meisten seines Standes, humoristisch angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung von „drei Tage vor Weihnachten" nicht das geringste Interesse gezeigt, vielmehr nur die Worte gehabt: „Ich weiß nicht, Mutter, was denkst du dir eigentlich? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man 'ran," — worauf die Frau jedoch geantwortet hatte: „Ja, Hartwig, das sagst du so; aber wenn du dran bist, dann red'st du anders."
Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, ein Leben hinter sich, das sich in zwei sehr verschiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und in eine ganz große teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein Ziegelstreichersohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe Kaputt, was er, als er aus dem diesem Dorfnamen entsprechenden Zustande heraus war, in Gesellschaft guter Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich der einzige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt, weil er sah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen so weit, ihm den Witz auch noch moralisch gutznschreiben und behaupteten: Schickedanz sei nicht bloß ein Charakter, sondern auch eine bescheidene Natur.
Ob dies zutraf, wer will es sagen! Aber das war sicher, daß er sich von Anfang an als ein aufgeweckter Junge gezeigt hatte. Schon mit sechzehn war er als Hilfsschreiber in die deutsch-englische Hagelversicherungsgesellschaft Pluvius eingetreten und hatte mit sechsundsechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in eben dieser Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten Gründen ein großer Tag gewesen. Denn als Schickedanz ihn erlebte, hieß er nur noch so ganz obenhin „Herr Versichernngssekretär", war aber in Wahrheit über diesen seinen Titel weit hinausgewachsen und besaß bereits das schöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte sich das leisten können, weil er im Lause der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Lose gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als persönliches Verdienst ungerechnet und auch wohl mit Recht. Arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann nicht jeder. Und so blieb er denn bei der Versicherungsgesellschaft lediglich nur noch als verhätscheltes Zierstück, weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck
und Weer.
machte, Personen der Art im Dienst oder gar als Teilnehmer zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürst stehen. Und Schickedanz war jetzt Fürst. Alles drängte sich an ihn, und seine Stammtisch- freunde, die zu seiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes Vertrauen hatten, drangen sogar eine Zeitlang in ihn, die Lotterielose für sie zu ziehen. Aber keiner gewann, was schließlich einen Umschlag schuf und einzelne von „bösem Blick" und schließlich sogar ganz nnsinnigerweise von Mogelei sprechen ließ. Die meisten aber hielten es für klug, ihr Uebelwollen zurückzuhalten; war er doch immerhin ein Mann, der jedem, wenn er wollte, Deckung und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz' Glück und Ansehen waren groß, am größten natürlich an seinem Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer alles kam. Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen Schickedanzfanatikern sehr mißliebig bemerkt wurde. Besonders schmerzlich empfand es die Frau. „Gott, er hat doch immer so treu gewählt," sagte sie. Sie kam aber nicht in die Lage, sich in diesen Schmerz einzuleben, da schon die nächsten Zeiten bestimmt waren, ihr Schwereres Zn bringen. Am 21. September war das Jubiläum gewesen, am 21. Oktober erkrankte er, am 21. Dezember starb er. Ans dem Notizenzettel, den man damals dem Kandidaten zugestellt hatte, hatte dieser dreimal wiederkehrende „einundzwanzigste" gefehlt, was alles in allen: wohl als ein Glück gelten konnte, weil, entgegengesetztenfalls, die „drei Tage vor Weihnachten" entweder gar nicht zu stände gekommen oder aber durch eine geteilte Herrschaft in ihrer Wirkung abgeschwächt worden wären.
Schickedanz war bei voller Besinnung gestorben. Er rief, kurz vor seinem Ende, seine Frau an sein Bett und sagte: „Riekchen, sei ruhig. Jeder muß. Ein Testament Hab' ich nicht gemacht. Es giebt doch bloß immer Zank und Streit. Ans meinem Schreibtisch liegt ein Briefbogen, draus Hab' ich alles Nötige geschrieben. Viel wichtiger ist mir das mit dem Haus. Du mußt es behalten, damit die Leute sagen können: ,Da wohnt Frau Schickedanz'. Hausname, Straßenname, das ist überhaupt das Beste. Straßenname dauert noch länger als Denkmal."
„Gott, Schickedanz, sprich nicht so viel; es strengt dich an. Ich will es ja alles heilig halten, schon aus Liebe..."
„Das ist recht, Riekchen. Ja, du warst immer eine gute Frau, wenn wir auch keine Nachfolge gehabt haben. Aber darum bitte ich dich, vergiß nie, daß es meine Puppe war. Du darfst bloß vornehme Leute nehmen; reiche Leute, die bloß reich sind, nimm nicht; die quängeln bloß und schlagen große Haken in die Thürfüllung und hängen eine Schaukel dran. Ueberhaupt, wenn es sein kann, keine Kinder. Hartwigen unten mußt du behalten; er ist eigentlich ein Klugschmus, aber die Frau ist gut. Und der kleine Rudolf, mein Patenkind, wenn er ein Jahr alt wird, soll er hundert Thaler kriegen. Thaler, nicht Mark. Und der Schullehrer in Kaputt soll auch hundert Thaler kriegen. Der wird sich