wundern. Aber darauf freu' ich mich schon. Und auf dem Jnvalidenkirchhof will ich begraben sein, wenn es irgend geht. Invalide ist ja doch eigentlich jeder. Und Anno siebzig war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den Feind, trotzdem Luchterhand immer sagte: ,Nicht so nah'ran'. Sei freundlich gegen die Leute und nicht Zn sparsam (du bist ein bißchen zu sparsam) und bewahre mir einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warst du, das sagt nnr eine innere Stimme."
Diesem allem hatte Riekchen seitdem gelebt. Die Beletage, die leer stand, als Schickedanz starb, blieb noch drei Vierteljahre unbewohnt, trotzdem sich viele Herrschaften meldeten. Aber sie deckten sich nicht mit der Forderung, die Schickedanz vor seinem Hinscheiden gestellt hatte. Herbst fünsundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau sah gleich „ja, das sind die, die inein Seliger gemeint hat." Und sie hatte wirklich richtig gewählt. In den fast Zehn Jahren, die seitdem verflossen waren, war es auch nicht ein einziges Mal Zu Konflikten gekommen, mit der gräflichen Familie schon gewiß nicht, aber auch kaum mit den Dienerschaften. Ein persönlicher Verkehr Zwischen Erdgeschoß und Beletage konnte natürlich nicht stattfinden, — Hartwig war einfach der alter ego, der mit Jeserich alles Nötige durchzusprechen hatte. Kam es aber ausnahmsweise zwischen Wirtin und Mieter zu irgend einer Begegnung, so bewahrte dabei die kleine winzige Frau (die nie „viel" war und seit ihres Mannes Tode noch immer weniger geworden war) eine merkwürdig gemessene Haltung, die jeden: mit dem Berliner Wesen Unvertrauten eine Verwunderung abgenötigt haben würde. Riekchen empfand sich nämlich in solchem Augenblicke durchaus als „Macht gegen Macht". Wie beinah' jedem Hierlandes Geborenen, war auch ihr die Gabe wirklichen Vergleichenkönnens völlig versagt, weil jeder echte, mit Spreewasser getaufte Berliner, männlich oder weiblich, seinen Zustand nur an seiner eignen Vergangenheit, nie aber an der Welt draußen inißt, von der er, wenn er ganz echt ist, weder eine Vorstellung hat noch überhaupt haben will. Der autochthone „Kellerwurm", wenn er fünfzig Jahre später in eine Steglitzer Villa Zieht, bildet — auch wenn er seiner Natur nach eigentlich der bescheidenste Mensch ist — eine gewisse Krösusfforstellung in sich aus und glaubt ganz ernsthaft, jenen Gold- und Silberkönigen zuzugehören, die die Welt regieren. So war auch die Schickedanz. Hinter einem Dachfenster in der Georgenkirchstraße geboren, an welchem Dachfenster sie später für ein Weißzeuggeschäst genäht hatte, kan: ihr ihr Leben, wenn sie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin sie die Rolle der Prinzessin spielte. Dem entsprechend dnrchdrang sie sich, still aber stark, mit einem Hochgefühl, das sowohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf Ebenbürtigkeit lossteuerte. Sie rangierte sich ein und wies sich, soweit ihre historische Kenntnis das zuließ, einen ganz bestimmten Platz an: Fürst Dolgorucki, Herzog von Devonshire, Schickedanz.
Die Treue, die der Verstorbene noch in seinen letzten Augenblicken ihr nachgerühmt hatte, steigerte
sich mehr und mehr znm Kult. Die Vormittagsstunden jedes Tages gehörten dem hohen Palisanderschrank an, drin die Jubiläumsgeschenke wohlgeordnet standen: ein großer Silberpokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem Deckel, ein Album mit photographischen Aufnahmen aller Sehenswürdigkeiten von Kaputt, eine große Huldigungsadresse mit Aquarellarabesken, mehrere Lieder in Prachtdruck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain „alle Neune"), Riesensträutze von Sonnenblumen, ein Oreiller mit dem eisernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht, von einem Damenkomitee herrührend, in dessen Auftrag er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor Paris gebracht hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzsäule, stand eine Gipsbüste, Geschenk eines dem Stammtisch ungehörigen Bildhauers, der darauf hin einen leider ausgebliebenen Auftrag in Marmor erwartet hatte. Fauteuils und Stühle steckten in großblumigen Ueber- zügen, desgleichen der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an den Frontsenstern standen, den ganzen Winter über, Maiblumen. Riekchen trug auch Maiblumen auf jeder ihrer Hauben, war überhaupt, seit das Trauerjahr um war, immer hell gekleidet, wodurch ihre Gestalt noch unkörperlicher wirkte. Jeden ersten Montag in: Monat war allgemeines Reinmachen, auch bei Wind und Kälte. Dies war immer ein Tag größter Aufregung, weil jedesmal etwas zerbrochen oder umgestoßen wurde. Das blieb auch so durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig, die sich einer sehr geschickten Hand erfreute, Wandel in diesem Punkte schaffte. Die Nippsachen zerbrachen nun nicht mehr, und Riekchen war um so glücklicher darüber, als Hartwigs hübsche Nichte, wenn sie mal wieder den Dienst gekündigt, auch jedesmal was zu erzählen und mit immer neuen und oft sehr intrikaten Geschichten ins Feld Zu rücken wußte.
Die Barbys hatten alle Ursache, mit dem Schicke- danzschen Hause zufrieden zu sein. Nur eines störte, das war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der alte Graf seine Nachmittagsruhe halten wollte. Das verdroß ihn eine Weile, bis er schließlich zu dem Ergebnis kam: „ Eigentlich bin ich schuld daran. Warum setz' ich mich in die Hinterstube, statt einfach vorn an mein Fenster? Immer hasardier' ich wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; du willst es doch noch mal versuchen."
Ja, der alte Gras war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt auch beinah' abergläubisch an ihr fest. So lang er darin wohnte, war es ihm gut ergangen, nicht glänzender als früher, aber sorgenloser. Und das sagte er sich jeden neuen Tag.
Sein Leben, so bunt es gewesen, war trotzdem in gewissem Sinne durchschnittsmäßig verlaufen, ganz so wie das Leben eines preußischen „Magnaten" — worunter man in der Regel Schlesier versteht; aber es giebt doch auch andre — Zu verlausen pflegt.
Im Juli dreißig, gerade als die Franzosen Algier bombardierten und nebenher das Haus Bourbon