228
Ueöer Land und Meer.
nicht kennen; sie waren bisher immer erheblich weiter > flußaufwärts — das Ziel unsrer Reise hat einen ziemlich sonderbaren Namen und heißt das ,Eier- häuscheill. Ich werde seitdem die Vorstellung von etwas Ovalem nicht los und werde Wohl erst geheilt sein, wenn sich mir die so sonderbar benamste Spreeschönheit persönlich vorgestellt haben wird. Also morgen, Donnerstag: Eierhäuschen. Ein,Neiw giebt es natürlich nicht. Abfahrt vier Uhr, Jannowitz- brücke. Papa begleitet uns; es geht ihm seit heut ! um vieles besser, so daß er sich's Zutraut. Vielleicht ist vier etwas spät; aber wir haben dabei, wie mir Lizzi sagt, den Vorteil, aus der Rückfahrt die Lichter im Wasser sich spiegeln zu sehen. Und vielleicht ist auch irgendwo Feuerwerk, und wir sehen dann die Raketen steigen. Armgard ist in Aufregung, fast auch ich. revoir. Eines Herrn Rittmeisters wohlaffektionierte Melusine."
Nun war der andre Nachmittag da, und kurz vor vier Uhr fuhren erst die Berchtesgadens und gleich danach auch die Barbhs bei der Jannowitz- brücke vor. Woldemar wartete schon. Alle waren in jener heitern Stimmung, in der man geneigt ist, alles schön und reizend Zu finden. Und diese Stimmung kam denn auch gleich der Dampsschiffahrts- station Zu statten. Unter lachender Bewunderung der sich hier darbietenden Holzarchitektnr stieg man ein Gewirr von Stiegen und Treppen hinab und schritt, unten angekommen, an den um diese Stunde noch leeren Tischen eines hier etablierten „Lokals" vorüber, unmittelbar auf das Schiff zu, dessen Glocke schon zum erstenmal geläutet hatte. Das Wetter war prachtvoll, flußaufwärts alles klar und sonnig, während über der Stadt ein dünner Nebel lag. Zu beiden Seiten des Hinterdecks nahm man aus Stühlen und Bänken Platz und sah von hier aus aus das verschleierte Stadtbild Zurück.
„Da heißt es nun immer," sagte Melusine, „Berlin sei so kirchenarm; aber wir werden bald Köln und Mainz aus dem Felde geschlagen haben. Ich sehe die Nikolaikirche, die Petrikirche, die Waisenkirche, die Schloßkuppel, und das Dach da, mit einer Art von chinesischer Deckelmütze, das ist, glaub' ich, der Rathausturm. Aber freilich, ich weiß nicht, ob ich den mitrechnen darf."
„Turm ist Turm," sagte die Baronin. „Das fehlte auch gerade noch, daß man dem armen alten Berlin auch noch seinen Rathansturm als Turm abstritte. Mai: eisersüchtelt schon genug."
Und nun schlug es vier. Von der Parochial- kirche her klang das Glockenspiel, die Schiffsglocke läutete dazwischen, und als diese wieder schwieg, wurde das Brett ausgeklappt, und unter einem schrillen Pfiff setzte sich der Dampfer auf das mittlere Brückenjoch zu in Bewegung.
Oben, in Nähe der Jannowitzbrücke, hielten immer noch die beiden herrschaftlichen Wagen, die's für angemessen erachten mochten, ehe sie selber ausbrachen, zuvor den Ausbruch des Schiffes abzuwarten, und erst als dieses unter der Brücke verschwunden war,
fuhr der gräflich Barbysche Kutscher neben den freiherrlich Berchtesgadenschen, um mit diesem einen Gruß auszutauschen. Beide kannten sich seit lange, schon von London her, wo sie bei denselben Herrschaften in Dienst gestanden hatten. In diesem Punkte waren sie sich gleich, sonst aber so verschieden s wie nur möglich, auch schon in ihrer äußeren Er- j scheinung. Imme, der Barbysche Kutscher, ein ebenso martialisch wie gutmütig dreinschauender Mecklenburger, hätte mit seinem angegrauten Sappeurbart ohne weiteres vor eine Gardetruppe treten und den Zug als Tambourmajor eröffnen können, während der Berchtesgadensche, der seine Jugend als Trainer und halber Sportsman zugebracht hatte, nicht bloß einen englischen Namen führte, sondern auch ein typischer Engländer war, hager, sehnig, kurz geschoren und glatt rasiert. Seine Glotzaugen hatten etwas Stupides; er war aber trotzdem klug genug und wußte, wenn's galt, seinem Vorteil nachzugehen. Das Deutsche machte ihm noch immer Schwierigkeiten, trotzdem er sich aufrichtige Mühe damit gab und sogar das bequeme Znhilsenehmen englischer Wörter vermied, am meisten dann, wenn er sich die Berlinerinnen seiner Bekanntschaft abquälen sah, ihm mit ,^vell, nmll, Nr. RobinsolO oder gar mit einem geheimnisvollen „inäeeä" zu Hilfe Zn kommen. Nur mit dem einen war er einverstanden, daß man ihn „Air. Robinson" nannte. Das ließ er sich gefallen.
Nr. Robinson," sagte Imme, als sie Bock an Bock nebeneinander hielten, „bmv are ;-ou? I bopa qnita nmll."
„Danke, Mr.Jmme, danke! Was macht die Frau?"
„Ja, Robinson, da müssen Sie, denk' ich, selber Nachsehen, und Zwar gleich heute, wo die Herrschaften fort sind und erst spät wiederkommen. Noch dazu mit der Stadtbahn. Wenigstens von hier aus, Jannowitzbrücke. Sagen wir also neun; eher sind sie nicht Zurück. Und bis dahin haben wir einen guten Skat. Hartwig als dritter wird schon kommen; Portiers können immer. Die Frau zieht ebenso gut ans wie er, und weiter is es ja nichts. Also Klocker fünf; ein ,NeiiN gilt nicht; allere tllera is o. nill, tbere is a. Ein bißchen is doch noch hängen ge
blieben von äear olä Rnglairä."
„Danke, Mr. Imme," sagte Robinson, „danke! Ja, Skat is das Beste von all Oarmao)'. Komme gern. Skat ist noch besser als Bayrisch."
„Hören Sie, Robinson, ich weiß doch nicht, ob das zutrifft. Ich denke mir, so beides zusammen, das ist das Wahre. Rllat's it."
Robinson war einverstanden, und da beide weiter nichts auf dem Herzen hatten, so brach man hier ab und schickte sich an, die Rückfahrt in einem mäßig raschen Trab anzutreten, wobei der Berchtesgadensche Kutscher den Weg über Molkenmarkt und Schloßplatz, der Barbysche den auf die Neue Friedrichsstraße nahm. Jenseits der Friedrichsbrücke hielt sich der letztere dicht am Wasser hin und kam so am bequemsten bis an sein Kronprinzennser.
Der Dampfer, gleich nachdem er das Brückenjoch passiert hatte, setzte sich in ein rascheres Tempo,