Heft 
(1897) 08
Seite
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Stechlin.

dabei die linke Flußseite haltend, so daß immer nur eine geringe Entfernung zwischen dem Schiff und den sich dicht am Ufer hinziehendeu Stadtbahnbögen war. Jeder Bogen schuf den Rahmen für ein da­hinter gelegenes Bild, das natürlich die Form einer Lünette hatte. Mauerwerk aller Art, Schuppen, Zäune Zogen in buntem Wechsel vorüber, aber in Front aller dieser der Alltäglichkeit und der Arbeit dienenden Dinge Zeigte sich immer wieder ein Stück Gartenland, darin ein paar verspätete Malven oder Sonnenblumen blühten. Erst als man die zweit- solgende Brücke passiert hatte, traten die Stadtbahn­bögen so weit zurück, daß von einer Ufereinsassung nicht mehr die Rede sein konnte; statt ihrer aber wurden jetzt Wiesen und pappelbesetzte Wege sicht­bar, und wo das User quaiartig absiel, lagen mit Sand beladene Kähne, große Zillen, aus deren Innerem eine baggerartige Vorrichtung die Kies- und Sandmassen in die dicht am User hin etablierten Kalkgruben schüttete. Es waren dies die Berliner Mörtelwerke, die hier die Herrschaft behaupteten und das Userbild bestimmten.

Unsre Reisenden sprachen wenig, weil unter dem raschen Wechsel der Bilder eine Frage die andre zurückdrängte. Nur als der Dampfer an Treptow vorüber zwischen den kleinen Inseln hinfuhr, die hier mannigfach aus dem Fluß auswachsen, wandte sich Melusine an Woldemar und sagte:Lizzi hat mir erzählt, hier zwischen Treptow und Stralau sei auch die ,LiebesinseU; da stürben immer die Liebes­paare, meist mit einen: Zettel in der Hand, draus alles stünde. Trifft das zu?"

Ja, Gräfin, soviel ich weiß, trifft es zu. Solche Liebesiuseln giebt es übrigens vielfach in unsrer Gegend und kann als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zustand ist, dem abgeholsen werden soll, und wenn's durch Sterben wäre."

Das nehm' ich Ihnen iibel, daß Sie darüber spotten. Und Armgard wird es noch mehr thun, weil sie gefühlvoller ist als ich. Zudem sollten sie wissen, daß sich so was rächt."

Ich weiß es. Aber Sie lesen auch durchaus falsch in meiner Seele. Sicher haben Sie mal ge­hört, daß der, der Furcht hat, zu singen ansängt, und wer nicht singen kann, nun, der witzelt eben. Uebrigens, so schön ,LiebesinseU klingt, der Zauber davon geht wieder verloren, wenn Sie sich den Namen des Ganzen hier vergegenwärtigen. Das sich so mächtig hier verbreiternde Spreestück heißt der .Rmnmelsbnrger Seck."

Freilich nicht hübsch; das kann ich zugeben. Aber die Stelle selbst ist schön, und Namen bedeuten nichts."

Wer Melusine heißt, sollte wissen, was Namen bedeuten."

Ich weiß es leider. Denn es giebt Leute, die sich vor ,Melusine' fürchten."

Was immer eine Dummheit, aber doch mehr noch eine Huldigung ist."

Unter diesein Gespräche waren sie bis über die Breitung der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder in das schmaler werdende Flußbett ein. An beiden

Ufern hörten die Häuserreihen auf, sich in dünnen Zeilen hinzuziehen, Baumgruppen traten in nächster Nähe dafür ein, und weiter landeinwärts wurden ausgeschüttete Bahndämme sichtbar, über die hinweg die Telegraphenstangen ragten und ihre Drähte von Pfahl. Zn Pfahl spannten. Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, stand ein Schilsgürtel, aus dessen Dickicht vereinzelte Krickenten aufflogen.

Es ist doch weiter, als ich dachte," sagte Melusine. Wir sind ja schon wie in halber Einsamkeit. Und dabei wird es frisch. Ein Glück, daß wir Decken mitgenommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder giebt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum denken, daß wir zu sechs in einem Eierhäuschen Platz haben."

Ach, Frau Gräfin, ich sehe, Sie rechnen ans etwas extrem Idyllisches und erwarten, wenn wir angelangt sein werden, einen Mischling von Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer aber eine grausame Enttäuschung. Das Eierhäuschen ist ein sogenanntes ,Lokal', und wenn uns die Lust anwandelt, so können wir da tanzen oder eine Volksversammlung abhalteu. Raum genug ist da. Sehen Sie, das Schiff wendet sich schon, und der rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar wird, das ist das Eierhäuschen."

O weh! Ein Palazzo," sagte die Baronin und war aus dein Punkt, ihrer Mißstimmung einen Ansdruck zu geben. Aber ehe sie dazu kam, schob sich das Schiff schon an den vorgebauten Anlegesteg, über den hinweg man, einen Uferweg einschlagend, auf das Eierhäuschen zuschritt. Dieser Uferweg setzte sich, als man das Gartenlokal endlich erreicht hatte, jenseits desselben noch eine gute Strecke fort, und weil die wundervolle Frische dazu einlud, beschloß man, ehe man sich imEierhäuschen" selber niederließ, zuvor noch einen gemeinschaftlichen Spaziergang am User hin zu machen. Immer weiter flußaufwärts.

Der Enge des Weges halber ging man zu zweien, vorauf Woldemar mit Melusine, dann die Baronin mit Armgard. Erheblich zurück erst folgten die beiden älteren Herren, die schon auf dem Dampf­schiff ein politisches Gespräch angeschnitten hatten. Beide waren liberal, aber der Umstand, daß der Baron ein Bayer und unter katholischen Anschauungen ausgewachsen war, ließ doch beständig Unterschiede hervortreten.

Ich kann Ihnen nicht Zustimmeu, lieber Graf. Alle Trümpfe heut, und zwar mehr denn je, sind in des Papstes Hand. Rom ist einig und Italien nicht so fest aufgebaut, als es die Welt glauben machen möchte. Der Quirinal zieht wieder aus, und der Vatikan zieht wieder ein. Und was dann?"

Was dann? Nichts, lieber Baron. Auch daun nicht, wenn es wirklich dazu kommen sollte, was, glaub' ich, ausgeschlossen ist."

Sie sagen das so ruhig, und ruhig ist man nur, wenn man sicher ist. Sind Sie's? Und wenn Sie's sind, dürfen Sie's sein? Die letzten Entscheidungen liegen immer bei dieser Papst- und Rom-Frage."

Lagen einmal. Aber damit ist es gründlich